Donnerstag, 8. November 2007

"Sachverständige"

Propaganda hat etwas für sich: sie muss sich keiner lästigen Fragen stellen, weil alle sie weiterverbreiten. Und was alle sagen, das muss ja richtig sein. In den Massenmedien findet sich nur noch vereinzelt Kritik an ihr, gerade zeigt es erneut das Votum der so genannten fünf "Wirtschaftsweisen", eigentlich eher Wirtschaftswaisen sind. Orakelhaft schwadronieren sie davon, dass die Regierung nicht krass genug an Reformen herumdoktort, dass der Aufschwung - den sie zuvor vehement weggeredet hatten und der nun plötzlich "erwartet" kommt - nun endgültig ein Abschwung wird, endlich, seit Jahren hoffen sie darauf. Denn dann kann man weitermachen mit "Reformen", die zwar kontraproduktiv sind, aber immerhin Geld in ihre ganz privaten Kassen spülen.
Ständig fällt den Wirtschaftswaisen nichts mehr ein, als ihre nutzlosen und gefährlichen Rezepte zu wiederholen. Dabei reicht ein Blick auf die Entwicklung der Binnenkonjunktur (resp. des Konsums), um zu erkennen, was schief läuft und wo man ansetzen muss - durch Lohnsteigerungen, beispielsweise:

Tabelle 2: Privater Konsum


2004 2005 2006 2007
Deutschland 0,2 -0,1 1,0 -0,1
Euro-Raum 1,6 1,5 1,8 1,5

(Quelle: NDS)
Wo niemand im Land das Geld hat, irgendetwas zu kaufen und riesige Unsicherheit regiert, wird auch nichts sich daran ändern. Aber das verstehen Wirtschaftswaisen nicht. Stattdessen können sie sich über Trottel wie Andreas Nölting freuen, der im Spiegel ungestraft Unfug von sich geben darf. Darunter finden sich solche Perlen:

Keynesianische Instrumente wirken nicht mehr

Harsche Kritik üben die Sachverständigen daher an der prozyklischen Wirtschaftspolitik der Großen Koalition: Die wirtschaftliche Belebung habe dazu geführt, dass Probleme, die in schlechteren Zeiten als vorrangig galten, in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit und der Entscheidungsträger an Dringlichkeit verloren haben, namentlich in der Arbeitsmarktpolitik, monieren die Star-Ökonomen - eine deutliche Attacke gegen den populistischen Kurs des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck und Teile der CDU, die mit ihrer Forderung nach einer Verlängerung des Arbeitslosengeldes II die unbestritten positiven gesamtwirtschaftlichen Wirkungen des Hartz-IV-Gesetzes zwangsläufig konterkarieren.

Um Nölting kurz ein wenig Nachhilfe zu geben: das keynesianische Rezept war antizyklische, nicht prozyklische Wirtschaftspolitik. Dazu das beliebte Wörtchen "populistisch", mit dem man so einfach Diskussionen ausblenden kann, und eine einfach in den Raum gestellte Behauptung von einer Belebung der Wirtschaft durch Hartz-IV, die auch noch "unbestritten" sei. Das ist totaler Dumpfkäse, Hartz-IV hat mit der kurzfristigen Konjunktur nichts zu tun, wie Nölting in einem intelektuellen Salto Mortale kurz darauf feststellt:

Die Zeit nationaler Wirtschaftspolitik ist vorbei

Die nüchterne Analyse hingegen lautet: Wir können nicht viel tun. Am besten sollten wir den eingeschlagenen Weg unbeirrt weiter gehen, den Sozialstaat umbauen, den Haushalt konsolidieren, Schulden abzahlen, für schlechte Zeiten ein Polster anlegen und - so abgedroschen es klingt - den Marktkräften weitgehend freien Lauf lassen. Die Zeit, in der eine nationale Wirtschaftspolitik die beabsichtigte positive Wirkung zeigt, ist in der globalen Wirtschaft längst vorüber.

Aha. Der Staat kann also gar nichts machen. Wie kann dann Hartz-IV belebend gewirkt haben? Diese offensichtliche Unlogik stört Nölting nicht. Genausowenig wie die Tatsache, dass der angebliche Aufschwung (der ja laut den Wirtschaftswaisen schon wieder ein Abschwung ist und Reformen erfordert, die aber die Wirtschaft ja ohnehin nicht beeinflussen können in der Globalisierung...) einer generellen Weltkonjunktur geschuldet ist und fast nur der Exportwirtschaft zugute kam, wie die obige Statistik auch zeigt. Nicht vergessen sollte man, das kommt bei den Vulgärliberalen immer gut an, ein bisschen Pöbelei gegen den Sozialstaat:

Hartz IV zurückschrauben und die Transferleistungen des Sozialstaates erhöhen, fordern die Politiker aus dem linken Lager. Das allerdings wäre genau das falsche Zeichen, würde Deutschland im globalen Wettbewerb nur weiter schwächen, die Arbeitslosigkeit erhöhen. Wir brauchen eben weniger Dirigismus und weniger soziale Planwirtschaft, um den Konjunkturmotor am Laufen zu halten.
Warum auch immer "Deutschland" (was ist das eigentlich?) im "globalen Wettbewerb" dadurch geschwächt würde. Die Wirtschaftswaisen und ihre Apologeten tun gerne immer noch so, als sei Deutschland eine Insel und als Einzige von der Globalisierung betroffen. Was ist mit Belgien, Schweden, Finnland, Luxemburg, ...? Länder mit deutlich höheren Staatsquoten und einem deutlich großzügigeren Sozialstaat, denen es besser geht als Deutschland. Aber daran zu denken dürfte die Denkleistung eines Nölting deutlich überfordern. Und das wollen wir ihm ja nicht zumuten.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.