Dienstag, 17. Juni 2008

Es köhlert wieder

"Unser" (das BILD-Zeitungs-Wir) Bundespräsident Horst Köhler hat eine Rede gehalten. Seine dritte Berliner Grundsatzrede, um genau zu sein. Wer jetzt sagt "ja und?" liegt richtig, denn inhaltlich bietet Köhler praktisch nichts. Die SZ hat dieses Nichts dankenswerterweise dokumentiert, so dass wir uns hier damit auseinandersetzen können.
"Inzwischen müssen schon Facharbeiterfamilien sehr schnell Steuersätze zahlen, die früher nur für Reiche galten." All dies drücke auf die Steuermoral und den Leistungswillen. Köhler prangerte insbesondere die Folgen der sogenannten kalten Progression an: "Schon für Durchschnittsverdiener bedeutet eine Gehaltserhöhung rasch einen höheren Steuertarif und entsprechend weniger Netto vom Brutto" , sagte er. (Quelle)
Das ist die typische Argumentationslinie der Neoliberalen. Erst senken sie die Steuern der Spitzenverdiener so weit ab, dass die kaum mehr was bezahlen, und dann wird dieser Zustand lauthals angeprangert - um die Steuern weiter zu senken.

Dies müsse sich ändern. Nötig sei außerdem eine Vereinfachung des Steuerrechts, das inzwischen völlig undurchschaubar sei. Dies führe zu den unsinnigsten Geldanlagen, nur um Steuern zu sparen. Damit stellte sich Köhler indirekt an die Seite der CSU. Diese hatte Anfang Mai als erste Koalitionspartei ein Steuerkonzept vorgestellt, das die Steuerzahler um 28 Milliarden Euro entlasten soll. Während die Forderungen von Teilen der CDU unterstützt werden, pochen Bundeskanzlerin Angela Merkel und die SPD darauf, dass die Haushaltskonsolidierung absoluten Vorrang haben müsste. (Quelle)

Das ultimative Wahlkampfziel, die Vereinfachung des Steuerrechts. Gleichzeitig aber sollen bestimmte Gruppen entlastet werden (Wählergruppen), indem das Steuerrecht wieder verkompliziert.
Köhler plädierte zugleich dafür, die sozialen Sicherungssysteme künftig stärker durch Steuern zu finanzieren. Deutschland habe ein Jahrhundert lang die Kosten der sozialen Sicherheit vor allem den Arbeitern, Angestellten und privaten Arbeitgebern auferlegt. Dies hemme inzwischen das Entstehen neuer Arbeitsplätze. Durch eine stärkere Streuerfinanzierung könnten alle Bürger entsprechend ihrer Leistungskraft zur sozialen Sicherheit beitragen. (Quelle)
Neben dem alten Märchen, dass die Sozialabgaben das Hemmnis der Arbeitsplätze wären, spricht Köhler wahrscheinlich ein wahres Wort aus.

Köhler forderte in seiner Rede auch eine "anständige Grundabsicherung" für alle. Er bezeichnete Arbeit, Bildung und Integration als zentrale Ziele für Deutschland. Die Chancen für mehr Arbeit seien auch dank der Globalisierung "grandios".

"Vollbeschäftigung ist möglich, wenn wir ihre Voraussetzungen und unsere Chancen verstehen und entsprechend handeln." Der Bundespräsident lobte insbesondere die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt. In den vergangenen drei Jahren hätten mehr als 1,6 Millionen Menschen in Deutschland zusätzlich einen Arbeitsplatz gefunden, sagte Köhler. "Diese Fortschritte tun dem Land unendlich gut." Köhler forderte eine "anständige Grundabsicherung", die Bürger müssten "durch eigene Erwerbstätigkeit mindestens dazu beitragen können."

Zugleich müsse sichergestellt werden, dass aus dem Niedriglohnbereich viele Wege nach oben führten. Ausdrücklich hob Köhler die Chancen der Globalisierung hervor. Die internationalen Voraussetzungen für mehr Beschäftigung in Deutschland seien bestens, betonte er. Es sei falsch, das Wachstum der Weltwirtschaft als bedrohlich und zerstörerisch anzusehen. (Quelle)

Was ist eine "anständige Grundabsicherung"? Laut "Sozialdemokraten" wie Sarrazin sind das 347 Euro im Monat. Wo setzt Köhler die Grenze an? Die Antwort bleibt er schuldig. Dazu kommt die Gleichsetzung von Arbeitsplätzen mit menschenwürdigen Zuständen; viele der geschaffenen Arbeitsplätze sind Zeitarbeitsplätze und zudem äußerst schlecht bezahlt. Und das diffuse Gerede von "Wegen, die nach oben führen" hilft den Niedriglohnern nicht weiter. "Wege, die nach oben führen" heißt, dass ein Großteil des Niedriglohnsektors bleiben soll, wie er ist. Und das ist ein Skandal.

Die dringend nötige politische Gestaltung der Weltmärkte habe längst begonnen. Dabei seien Klimaschutz und die Ordnung der Weltfinanzmärkte vorrangig. "Zweitens bleibt weltweites Wachstum das wirksamste Mittel gegen Hunger und Armut. Drittens macht alles in allem Wachstum die Welt heiler, als sie heute ist."

Zum Beweis verwies Köhler auf die Chancen, die die Modernisierung eines Landes wie China oder Brasilien berge. "Und dabei sind als Weltverbesserer gerade auch wir Deutsche gefragt und können gute Geschäfte machen", sagte Köhler. (Quelle)

Jetzt kommt noch ein bisschen Weichspüler drüber, mit Gerede von Klimaschutz, Kontrolle und Weltverbessern. Was soll das? Köhler redet nur davon, irgendwelche konkreten Maßnahmen hat man von ihm noch nie gehört. So bleibt das alles nur Wahlkampfgewäsch.

Köhler hat auch längere Wahlperioden und eine Reform des Wahlrechts vorgeschlagen, um Politik effektiver zu machen und Politikverdrossenheit zu bekämpfen. "Gegen den hierzulande meist herrschenden Dauerwahlkampf ließe sich die Legislaturperiode des Deutschen Bundestags auf fünf Jahre verlängern". Zudem könnten öfter als bisher mehrere Landtags- und Kommunalwahlen auf einen Tag gelegt werden. Die Bürger könnten stärker beteiligt werden, wenn sie auf den Wahllisten der Parteien für einzelne Kandidaten stimmen könnten. Diese Möglichkeit gibt es auf Bundesebene bisher nicht, dort gilt die Zweitstimme für die gesamte Wahlliste einer Partei. (Quelle)

Jetzt noch etwas, das in keiner Ruck-Rede dieser Tage fehlen darf: Parteien-Bashing! Was genau es helfen soll, die Periode auf fünf Jahre zu verlängern weiß Köhler allein. Auch die Landtagswahlen auf einen Tag zu konzentrieren kann nur Symptombekämpfung sein, weil in der Föderalismusstruktur ja der eigentliche Hund begraben liegt, den man mit der neuesten Reform zum Thema nur noch tiefer verbuddelt hat.

So bleibt Köhlers Rede belanglos bis entlarvend oberflächlich. Nichts Neues aus dem Köhlerland, und es wird Zeit, dass der Mann ab gewählt wird. Daran ändert auch die Lobhudelei von Nico Fried nichts. Immerhin wird Köhlers Rede im Stern verrissen, das ist wenigstens was.

1 Kommentar:

  1. Die Deutschen als Weltverbesserer, das hatten wir doch schon mal; und daß die Herren aus der Wirtschaft nur dann "Gutes" tun, wenn sie damit ordentlich Kasse machen können, ist auch nicht gerade etwas Neues, was uns der Köhler Horst hier als "reformatorisch" notwendig und richtg für D offerieren will.

    Ob Köhlers Idee nach einer Verlängerung der Wahlperioden das virulente Problem der "Politikverdrossenheit" wird lösen können, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Vor allem dann, wenn die Politiker so denken und handeln, wie "Bundes-Horsti" sich das vorstellt.

    Von direktdemokratischen Elementen hat Köhler wohl noch nichts gehört. Woher auch, da er wie viele andere Berufspolitiker mehr oder minder große Angst vor dem Volk hat (siehe EU-Referendum in Irland und die Reaktionen der politischen Klasse darauf). Wirklich "innovativ" wäre der Bundespräsident, wenn er eine andere Politik für D fordern würde.

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