Montag, 22. September 2008

Fundstücke 22.09.2008, 16.56 Uhr

Illusionen der gegenwärtigen Bildungspolitik
TP - Viele Politiker halten grob vereinfachend ein hohes Einkommen für ein sicheres Indiz für mehr Produktivität. Weil diejenigen mit Hochschulzeugnis mehr verdienen als andere, glauben sie, es sei ausreichend, alle zu Graduierten zu machen. Das ist ein Fehlschluss. Wenn das wahr wäre, müsste Ägypten heute eines der reichsten Länder der Welt sein, und die Schweiz das ärmste in Europa. Der Zusammenhang ist viel komplexer. Immer mehr Akademiker zu fordern ist ungefähr so, wie zu behaupten, dass fünf Aspirin besser sind als zwei, weil zwei Aspirin gut sind.
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Wie man den Skandal vor lauter Skandalen nicht mehr sieht
TP - Die Fälle machen deutlich, dass es gar nicht einmal so sehr das vielgescholtene "Spitzenduo" Beckstein und Huber sein könnte, dass die CSU an Akzeptanz in der Bevölkerung verlieren ließ, sondern die zweite Reihe. Dort macht sich nach fast 50 Jahren Alleinherrschaft ein Effekt breit, der auch in anderen Einparteiensystemen zu beobachten war. Das Vordringen einer Schicht von wenig charismatischen Bürokraten, die sich in ihrer Lebenswelt sehr weit vom Volk entfernt haben. Ein Musterbeispiel für diesen Effekt ist neben Merk und dem Verbotsextremisten Joachim Herrmann vor allem der Landtagsfraktionsvorsitzende Georg Schmid, der durch ein relativ weltfremdes Nichtraucherschutzgesetz einen guten Teil zu der Bredouille beitrug, in der sich die CSU jetzt befindet.
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Experiment Finanzkrise
FTD - Doch spielt dieses "Herdenverhalten" auch außerhalb der Finanzwirtschaft eine große Rolle, was für die Geldpolitik der Notenbanken eine wichtige Bedeutung haben dürfte. Ernst Fehr hat zusammen mit Jean-Robert Tyran von der Uni Kopenhagen in Experimenten bestätigt gefunden, was vielen Ökonomen in den 50er- und 60er-Jahren nur als Annahme diente, die auch auf John Maynard Keynes zurückgeht: Dass Menschen einer Geldillusion unterliegen.
Darunter verstehen Volkswirte, dass Bürger erst viel später bemerken, dass ihr Geld wegen der allgemein steigenden Preise an Wert verliert. Sie würden sich vor allem an den Preisen, Zinsen oder Löhnen orientieren, wie sie sie im Alltag beobachten. Dabei merken sie nicht sofort, dass die Inflation eigentlich ihre Kaufkraft auffrisst. Zudem wurde in ähnlichen Experimenten herausgefunden, dass aufgrund der Geldillusion die Preissteigerungen und ein damit einhergehender Inflationsschub bei einer expansiven Geldpolitik sich deutlich langsamer vollziehen würden, als die seit den 70er-Jahren prägende orthodoxe Richtung der Ökonomie behauptet.

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Gegenöffentlichkeit hetzt Öffentlichkeit
ad sinistram - Vor einigen Tagen kamen die NachDenkSeiten - namentlich Albrecht Müller - zu der Einsicht, dass der Widerstand gegen den Einheitsbrei anwachse und die Gegenöffentlichkeit langsam aber sicher immer mehr Menschen erreiche. Anzumerken sei aber auch, dass die Stärkung einer Gegenöffentlichkeit nicht alleine den NachDenkSeiten angerechnet werden darf. Auch wenn der Großteil dieser "anderen Öffentlichkeit" durchaus auf deren Konto geht, so muß man doch all die kleinen, oft geradezu winzigen und solche, die mittlerweile als mittelgroße Blogs gelten dürfen, erwähnen. Jene ringen täglich mit dem Wahnsinn der Massenmedien, um eine andere Sichtweise des Vorgekauten und Vorgegebenen zu ermöglichen. Dabei spielt es auch gar keine Rolle, ob die einzelnen Akteure lediglich "journalistische Kostbarkeiten" aus den Massenmedien - die Ausnahme, die die Regel bestätigt! - aufgreifen und verlinken, Positionen der NachDenkSeiten heranziehen und weiterspinnen oder kommentieren, oder aus ihrem direkten und indirekten Umfeld Zustände herauspicken, um sie zu dokumentieren - jede dieser und weiterer Formen der Gegenöffentlichkeit hat ihre Berechtigung und trägt dazu bei, einer kleinen Schar von Lesern zum Umdenken, wenigstens aber zum Nachdenken, zu verhelfen.
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Schröpft die Kranken!
ad sinistram - Um es in aller Direktheit zu sagen: Fest startet hier einen Angriff auf Kranke. Diese sind oftmals - freilich nicht immer - Opfer gesellschaftlicher Zwänge, manchmal auch nur Opfer ihrer genetischen Modifikation. Sie sollen nun, ginge es nach diesem Mitglied der BILD-Chefredaktion, zur Kasse gebeten werden, weil sie krank sind, weil sie an Suchten leiden, für die sie normalerweise keinerlei Schuld tragen. Es ist der verkappte Angriff auf Kranke, nachdem man schon aus ökonomischen Opfern - aus Arbeitslosen - Schuldige geschmiedet hat. Nun sind auch die Kranken nicht mehr heilig, nun werden zunächst offensichtlich selbstverschuldete Kranke in Szene gesetzt, um damit einen Generalangriff auf alles, was sich krank durch die Lande humpelt und hustet, zu starten. Und dass es Nicolaus Fest offensichtlich nicht um Aufklärung, sondern um Geschäftemacherei geht, läßt sein abschließender Satz erkennen, den er einem gewissen Professor Diederich in den Mund legt: „Nach den vorläufigen Ergebnissen sind die Bürger deutlich einsichtiger und belastbarer, als die Politik mitunter annimmt.“ - Einsichtiger und belastbarer, um künftig auch mehr Selbstbeteiligung zu bezahlen oder eben - falls man sich nicht höher selbstbeteiligen kann -, sagen wir es unverblümt: an der Krankheit zu verrecken.
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Die Unfähigkeit zu handeln
Michael Schöfer - Die Absicht der US-Regierung, die Finanzmärkte mit dem Einsatz von 700 Mrd. US-Dollar zu stützen, ist zu begrüßen, wenngleich damit die jetzt schon enorme Schuldenlast der öffentlichen Haushalte der Vereinigten Staaten (Stand 18.09.2008: 9,664 Billionen US-Dollar) weiter aufgebläht wird. Natürlich kann man sich darüber ärgern, dass der Staat Gewinne privatisiert und Schulden sozialisiert, doch andernfalls wäre es wohl tatsächlich zu schwerwiegenden ökonomischen Verwerfungen gekommen, die nur mit der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts vergleichbar gewesen wären. Der Rettungsfonds ist allerdings zugleich das Eingeständnis, dass die Gesellschaft die Wirtschaft keinesfalls allein den Märkten überlassen darf. Regulierung ist das Gebot der Stunde. Und staatliche Eingriffe sind, das zeigt sich nun, nicht bloß in der Krise notwendig. Der Staat muss vorbeugen, nicht erst handeln, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.
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Freie Willkürherrschaft
SZ - Wer Spekulanten ausbremst, die auf fallende Kurse wetten, kann sich des Beifalls einer breiten Öffentlichkeit sicher sein. Ist es etwa nicht ein Skandal, dass Hedgefonds große Banken wie Lehman Brothers mit ihren Wetten in den Abgrund treiben können?
Die Aufsichtsbehörden in Amerika, Deutschland und anderswo handelten also richtig, solche Praktiken jetzt erst einmal zu verbieten, möchte man intuitiv sagen. Doch wenngleich Hedgefonds eine problematische Rolle in der Bankenkrise spielen: Das Verbot von Leerverkäufen ist ein weiterer von mehreren Staatseingriffen, die den
Finanzmärkten schon bald mehr schaden als nützen dürften.
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Finanzkrise? Alles hausgemacht!
ZEIT - Der Lebensstil der Mitarbeiter beeinflusst nämlich das Betriebsergebnis des Unternehmens, für das sie arbeiten. Und zwar: Je größer die Bleibe, desto roter die Zahlen.
Herausgefunden haben das zwei amerikanische Wirtschaftsforscher, David Yermack von der New York University und Crocker Liu von der Staatsuniversität von Arizona. In ihrem Arbeitspapier Where are the shareholders’ mansions? beschreiben sie den Zusammenhang zwischen der Wohnungsgröße und dem Firmengewinn. Sobald sich zum Beispiel der Chef eine extrem große oder extrem teure Villa kauft, verschlechtert sich die wirtschaftliche Perspektive des Unternehmens.

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Die übliche Heuchelei
SZ - Diekmann kann man die Chuzpe zutrauen, sich auf Goethe und Heinrich Heine zu berufen, wenn er Bild erklärt. Das wüste Drunter und Drüber des Boulevardbattes hat er zu einem Gesamtkunstwerk gemacht. Erst ließ er einen "Bild-Leserbeirat“ gründen, um "noch besser zu werden“. Basisdemokratie. "Die öffentliche Blattkritik wird uns näher an unsere Leser bringen, selbstkritisch und transparent“, erklärte Diekmann jetzt. "Ganz herzlich“ hat er dem Blattkritiker Steinmeier am Montag für dessen "Mut“ gedankt. Geht es nicht mal ein bisschen kleiner?
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