Dienstag, 21. Oktober 2008

Gedanken zur Finanzkrise

Nach einiger Zeit der Blogpause hier hat sich vieles angesammelt. Es bietet sich an, das zu sammeln. Das mache ich hier, aufgeteilt in einige Unterpunkte. Diese behandeln den Umgang mit den verantwortlichen Politikern der Linkspartei, das Versagen der Medien, die Auswirkungen der Krise besonders auf die Demokratie und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

1) Umgang mit der Linkspartei

Sehr interessant ist der Umgang mit der Linkspartei im Zusammenhang mit der Finanzkrise. Reaktionen auf dieselbe gibt es vorrangig von Politikern anderer Parteien und aus den Medien; die wirtschaftliche Elite äußerte sich bisher überhaupt nicht zu diesem Thema, und auch gänzlich fachfremde Personen wie Günter Grass hielten zumindest bislang dankenswerterweise die Klappe. Die Reaktionen der Medien auf andere Parteien und deren Personal will ich in einem späteren Unterpunkt behandeln.

Die Linkspartei ist die einzige der fünf im Bundestag vertretenen Parteien, die bereits lange vor einer solchen Krise gewarnt und entsprechende Korrekturen vorgeschlagen hat. Sie erlitt dabei ein Kassandra-Schicksal und darf sich nun bestätigt fühlen. Doppelt gilt das für die Person Oskar Lafontaines, sowohl was die vorausgegangenen Anfeindungen angeht als auch die Positionen, denn in seinem halben Jahr als Finanzminister 1998/99 hat Lafontaine versucht, solche Regeln durchzusetzen und wurde dafür massiv angefeindet, auch und gerade aus den eigenen Reihen. Schließlich gab er auf.

Nun ist der worst case eingetreten, denn seine Befürchtungen haben sich bestätigt, seine Mahnungen sind legitimiert. Interessanterweise wird er weiterhin, von wenigen lobenswerten unten verlinkten Ausnahmen abgesehen, angefeindet, teilweise sogar heftiger als zuvor. Kaum jemand besitzt die Charakterstärke, den Irrtum einzugestehen und sich zu entschuldigen. Bei den Politikern ist das zu entschuldigen, denn sie konkurrieren mit Lafontaine um Wählerstimmen und können ihn schlecht in den Himmel loben. Aber im Fall der Medien ist das absolut nicht akzeptabel.

2) Das Versagen der Medien

Das Versagen der Medien, zumindest der großen Medien wie der FAZ oder Süddeutschen Zeitung, der BILD sowieso, bezieht sich hauptsächlich auf die opportunistische Berichterstattung. Es ist der frappanteste Punkt, und es ist auch der, der mich derzeit wirklich am wütendsten macht. Das bezieht sich nicht einmal auf den oben beschriebenen Umgang mit der Linkspartei, wo die Medien nicht die, ja, Eier haben, ihren Fehler einzugestehen (von unten verlinkten, lobenswerten Ausnahmen abgesehen). Was mich derzeit wirklich aufregt, ist das offensichtlich zutage tretende Versagen der Medien in ihrer Funktion als Vierter Gewalt, als Kontrollorgan der Regierung. Dieses spezifische Versagen hat eine lange Geschichte, doch dieser Tage fällt es so extrem auf. Vollkommen unwidersprochen können Steinbrück, Merkel und Kollegen lügen dass sich die Balken biegen, Worthülsen abgeben und Pläne vorstellen, ohne dass die Medien auch nur im Geringsten hinterfragen oder kritisch bleiben. Dazu kommt, dass auch jede Selbstkritik der Medien ausbleibt (wieder exklusiv weniger Ausnahmen).

Spezifisch sieht man das beispielsweise an der Berichterstattung über Peer Steinbrück. Er gehört wohl auf einen Spitzenplatz der Reihe der inkompetenten Finanzminister; dort darf er sich mit Hans Eichel streiten. In den Medien allerdings wird er ständig als kompetenter Krisenmanager dargestellt, der kühlen Kopf bewahrt und pragmatische Lösungen fährt. Zuvor wurde seine völlig verfehlte Finanzpolitik in den Himmel gelobt, die mit für die Krise verantwortlich war. Auch seine Rolle als Bankenkontrolleur wird nie erwähnt, hier hört man immer nur, dass Lafontaine im KfW-Verwaltungsrat saß. Für Merkel gilt dasselbe. Sie fiel bisher überhaupt nicht durch irgendwelche Pläne, Aussagen oder irgendetwas anders mit Inhalt auf, und ihre Interviews zur Krise sind gespickt von offensichtlich auswendig gelernten Allgemeinplätzen und sich widersprechenden Aussagen. Hinterfragt wird das von den Interviewern nie. Dazu kommt, dass Steinbrück und Merkel gerade ständig unwidersprochen die Mär verbreiten dürfen, dass sie schon immer für mehr Kontrolle und Regulierung waren und nur die bösen, dummen Amerikaner dagegen waren. Das ist Quatsch, und jeder Journalist müsste das wissen. Lafontaine wurden bei Anne Will Wahlkampfreden von 1994 (!) um die Ohren geklatscht, denen er heute widerspricht, Merkel und Steinbrück dürfen eine konträre Position zu ihren Aussagen von sechs Wochen als ihre genuine ausgeben, und die Journalisten bedanken sich noch brav.

Dass die Medien selbst genau das gleiche taten macht die Sache nicht besser. Noch vor kurzem waren sie alle voll auf der neoliberalen Schiene, jetzt plötzlich wussten sie es schon alle immer. Keine Spur von Selbstkritik. Man kann gar nicht so viel fressen wie man kotzen möchte.

Wer ein Beispiel sehen will für das totale Versagen der Medien kann sich die unten verlinkte Anne-Will-Sendung ansehen. So parteiisch wie hier war Anne Will selten, und die Sendung ist nicht gerade arm an parteiischen Skandalen. Alle, die etwas interessantes zu sagen haben, kommen kaum zu Wort, stattdessen darf Volker Kauder unterstützt von Roland Berger und Anne Will Propaganda betreiben. Furchtbar.

3) Auswirkungen der Krise auf die Demokratie

Dass das Versagen der Medien bereits schlimme Auswirkungen auf die Demokratie hat, dürfte klar sein. Doch das ist nicht das einzige. Die Regierung hat beispielsweise mit ihrem Rettungspaket – anders als die amerikanische, die auf entschiedenen Widerstand stieß – demokratische Regeln mir nicht, dir nichts außer Kraft gesetzt, bejubelt von der Presse. Das Gesetz wurde an Bundestag, Bundesrat und Volk einfach vorbeigepeitscht. In den Medien heißt es, die Regierung sei so pragmatisch, so effizient, warum könne sie das nicht öfter – man freut sich darüber, dass die Regierung einfach ihre Kontrollinstanzen außer Kraft setzt. Kein Problem, schließlich hat sich die Kontrollinstanz der „Vierten Gewalt“ bereits freiwillig selbst außer Kraft gesetzt.

Doch das ist nur das eine. Die Krise zeigt auch wieder einmal, welche Macht eigentlich die Finanzelite auf das ganze Land hat. Offen wird die Bundesrepublik von einem kleinen Kreis von Bankern erpresst, deren Banken sich so heftig verspekuliert haben, dass man sie die Kosten ihrer Spielsucht nicht alleine tragen lassen kann. Geld, das anderweitig viel bessere Effekte haben könnte, muss nun diesem – man kann es nicht anders sagen – raffgierigen Pack in den Rachen geworfen werden, damit nicht alles zusammenbricht. Aber keine Bange, im gleichen Atemzug, wie staatliche Hilfen in Anspruch genommen werden, warnt man auch gleich wieder vor staatlicher Überregulierung und will am liebsten alles halten wie zuvor. Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren – und niemand leistet Widerstand. Wie auch, alle die es tun können sind ausgeschaltet, bejubelt von den Medien. Die Demokratie ist faktisch abgeschafft.

4) Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Seit Jahren warnen wir Linksliberale (Sozialmarktwirtschaftliche) vor der ungezügelten Macht der Finanzmärkte, reden von Tobin-Steuer und Bankenaufsicht. Wir wurden beschimpft und belächelt. Nun ist die Krise da, und das ist kein Wunder. Krisen sind im Kapitalismus systemisch. Nur plötzlich ist die Idee des sich selbst heilenden Marktes passé. Der Staat soll es richten, teilverstaatlichen und Stützkäufe durchführen. Das ist vernünftig, gewiss. Das Renditedenken hat die Welt an den Rand des Abgrunds geführt, und es ist Zeit, dass man sich wieder auf die Realwirtschaft konzentriert und die wuchernde Finanzwirtschaft in ihren Dienst zu stellen statt umgekehrt. Vorschläge dazu gibt es genug, man muss sie nur umsetzen.

Links

Die Neunmalklugen - was bleibt von der Ideologie?

Wann kommt die Bankrotterklärung der Vierten Gewalt?

Die 70-Milliarden-Boni-Bonanza

Demokratie in der Krise

Der Kapitalismus besiegt den Staat

Sicherheitsrisisko Bundesbank

Mehr Kapitalismus

Interview mit Heiner Geißler

Nach der Krise ist vor der Rezession

Die Welt neu zusammensetzen

Anne Will 12.10.2008

Schulden für alle

Steinbrücks Banker-Drohung zum Scheitern verurteilt

2 Kommentare:

  1. zu 1.) Ich werde nie müde zu wiederholen, dass Lafontaines Vorschläge damals wohl kaum diese Krise hätte verhindern können. Und dass wir mit Basel II ein sehr effizientes und sinnvolles Regelwerk haben. Problematisch ist eher das Stichwort "Zweckgesellschaft"...Überhaupt: Das witzige an der ganzen Geschichte ist ja, dass wenn die USA etwas ähnliches wie Basel II gehabt hätten, die ganze Krise nie stattgefunden hätte. Ich möchte damit natürlich unsere Politik nicht von Fehlern freisprechen (und schon gar nicht unsere Bänker)...Also von "ungezügelten Märkten" kann bei uns gar keine Rede sein. Wir haben nur an der entscheidenden Stelle ein Schlupfloch gelassen...

    Im Übrigen haben ja auch andere die Krise vorhergesehen (von Börsenmaklern über z.T. Krugman, Wissenschaftler etc, bishin zu Kumpels von mir, die Investmentbanking studieren). Nur getan hat halt niemand was dagegen -Stichwort Rendite.

    zu 2.) Sehe ich ähnlich kritisch - gerade die Merkel-Steinbrück-Show ist erbärmlich...Andererseits sollten die Medien jetzt auch keine Weltuntergangsstimmung verbreiten...Ist ein schmaler Grat.

    zu 4.) ich versuche jetzt nicht wieder eine Diskussion um die Tobin-Steuer anzufangen ;-)
    Nur: Wir haben eine Bankenaufsicht (die allerdings einigen Nachholbedarf hat) und wir haben Basel II.

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  2. Haben die Medien wirklich versagt?

    Gegenthese: sie funktionieren hervorragend, nämlich ganz im Sinne der dahinterstehenden Betreiber.

    Nicht Information und Aufklärung ist angesagt, sondern Desinformation und Vernebelung.

    Zunächst fehlt in der Aufzählung das neoliberale Verkündungsblatt für die höheren Stände, der Spiegel, der sich unzutreffenderweise immer noch als 'Nachrichtenmagazin' ausgibt. Ein nennenswerter Anteil des Spiegel wird von Gruner&Jahr gehalten, und G&J wiederum gehört zu Bertelsmann. Ferner fehlt das Hauptmedium der niederen Stände: RTL (ebenfalls Bertelsmann).
    Und das GEZ-Fernsehen ist über parteitaktische Personalpolitik und diverse politische Kontrollgremien inzwischen reines Regierungsfernsehen.

    Und hier schließt sich der Kreis: die maßgeblichen Medien werden zum beträchtlichen Teil von denjenigen gesteuert, die an anderer Stelle im Staat das Sagen haben: die offiziell Regierenden sowie über mannigfaltige Interessenverflechtungen (manche sagen 'Staatskorruption' dazu) die mitkungelnden Lobbyisten (auch hier fällt einem als erstes Bertelsmann ein).
    Und welches Interesse soll beispielsweise Bertelsmann oder das GEZ-Regierungsfernsehen daran haben, daß diese Kungeleien und Durchstechereien ans Licht kommen?

    Eben. Und ein dummgehaltenes Volk läßt sich doch viel leichter regieren.

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