Freitag, 20. August 2010

Aufstand der Ewiggestrigen

Von Stefan Sasse

Mit einem großen Apell an die Bundesregierung, dass das Nicht-Einlösen ihrer Forderungen katastrophale Folgen für Deutschland haben werde, zeigten die Ewiggestrigen heute wieder einmal richtig Flagge. Ihre überholten Forderungen aus den siebziger Jahren blockieren den längst notwendigen Strukturwandel in Deutschland, ihre Funktionäre sind in alten Denkmustern verhaftet und versuchen ihre Besitzstände auf Kosten kommender Generationen zu wahren. Sollten sie damit durchkommen, ist Deutschlands Zukunft aktiv gefährdet, und unsere Kinder werden uns einmal dafür verfluchen. Die Rede ist weder vom Parteitag der LINKEn, noch vom aktuellen Rentenstreit der SPD, auch die Wohlfahrtsverbände sind gerade ziemlich still. Die Rede ist von der Energiewirtschaft.


Vor wenigen Tagen haben die Monopolisten gedroht, Atomkraftwerke abzuschalten, wenn ihren Forderungen nicht Folge geleistet wird. Das war, zugegeben, eine etwas absurde Forderung, deutlich zu plump auf den reinen Machtanspruch abhebend. Nun scheinen die Publicity-Experten wieder das Ruder übernommen zu haben, um der Energiewirtschaft zu dem zu verhelfen, was sie als ihr naturgegebenes Recht ansieht: gigantische Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit. Ihre größten Apolegeten haben einen gemeinsamen Aufruf verfasst, den sie der Bundeskanzlerin auf den Tisch geknallt haben. Vermutlich fühlten sie, dass nachdem sich das Bundeskanzleramt 2008/2009 in eine Außenstelle der deutschen Bank verwandelt hat es nur fair wäre, wenn es dieses Mal eine Außenstelle von e.on, Vattenfall und ENBW würde.

Der Aufruf enthält an und für sich nicht viel Neues. Nach einem Lippenbekenntnis zu den erneuerbaren Energiequellen folgt der derzeit populäre Schluss, den ja auch der ach so "grün angehauchte" Umweltminister Röttgen vertritt, dass die Atomenergie für den Wandel unverzichtbar sei, da sie eine so genannte "Brückentechnologie" darstelle. Ein Formelkompromiss, der eigentlich in Ordnung wäre, wenn man damit den eigentlichen Atomausstiegsplan bemänteln würde, der ja auch noch recht lange Laufzeiten vorgesehen hat. Aber die Energiewirtschaft will mehr, viel mehr. Der Atomausstieg soll effektiv ausgesetzt werden, selbst die ältesten Meiler laufen bis es nicht mehr geht.

Dazu muss man wissen, dass die Produktion einer Kilowattstunde im Kraftwerk und das Senden der Energie an den Haushalt rund 2,2 Cent kostet. Der börsennotierte Preis für eine Kilowattstunde aber, der sich aus mit dem alten Markt-Mantra unvereinbaren Gründen an dem ineffizientesten Kraftwerk orientiert, liegt bei 5 Cent - die Differenz streichen die Konzerne direkt ein, weil alle Investitionen in die Atomkraftwerke bereits bezahlt sind. Jedes Jahr, das die Meiler länger am Netz hängen, bedeutet Milliarden - Reingewinn! Dafür kann man viele Kinowerbespots mit freundlichen Monstern animieren, die in der Landschaft erneuerbare Energien fördern.

Das erste Argument der Energiewirtschaft ist, dass die großen Kosten der Energiewende nur durch die "kostengünstigen Kohle- und Atomenergie" finanziert werden könnte. Wie oben beschrieben ist die Atomenergie natürlich günstig - aber nur für die Energiewirtschaft. Für die Gesellschaft als Ganzes entstehen gewaltige Kosten. Nicht nur finanzieren die Verbraucher direkt die Gewinne der Konzerne durch überhöhte Preise, die dank deren Monopolstellung keinem Wettbewerb unterworfen sind, sondern fließen Steuersubventionen in unglaublicher Höhe in die Atomwirtschaft, die, alle eingerechnet, die Rechnung ganz schnell ändern würden. Nicht nur wurde die Technologieforschung größtenteils staatlich finanziert, auch der Bau der Meiler selbst war bereits größtenteils aus Steuergeldern finanziert worden, ebenso der des Netzes und des Erhalts seiner Infrastruktur. Wie Monitor recherchiert hat, tragen die Konzerne einen lächerlich geringen Bruchteil der Kosten der Entsorgung des Atommülls, die ohnehin bislang kaum bezifferbar sind, fehlt es doch nach 50 Jahren günstiger und sicherer Atomenergie immer noch an einem Endlager.

Die zweite Forderung der Energiewirtschaft lautet, wie bereits bekannt, auf die derzeit geplante Brennelementsteuer zu verzichten, die Milliarden in die gebeutelten Staatskassen spülen würde. Außerdem sollen die geplanten Streichungen von Ausnahmen bei der Ökosteuer nicht durchgeführt werden. Das Alternativ-"Angebot", das mehr einem Ultimatum gleicht, ist eine einmalige, geringe Abgabe in einen so genannten "Atomfonds". Dafür soll die Bundesregierung in einem Vertrag rechtlich bindend für alle Zeit auf weitere Forderungen verzichten. Dieser Vertrag würde auch zukünftige Regierungen binden; ein offener Schlag ins Gesicht des demokratischen Prinzips. Auf Seiten der Energiewirtschaft zeigt dies Realitätsbewusstsein, denn zukünftige Regierungen werden wohl nicht mehr ganz so offensichtlich käuflich sein wie die aktuelle, die - wenig überraschend - das von der Atomwirtschaft vorgeschlagene Modell über das eigene von der Brennelementsteuer favorisiert.

Zuletzt fordern die Lobbyisten in ihrem Pamphlet noch einen Abbau von Bürokratie und ein beschleunigtes Genehmigungsverfahren (was übersetzt heißt: weniger Kontrolle und Standards), da "nur so deutsche Unternehmen beim Ausbau neuer leistungsfähiger und intelligenter Stromnetze ebenso wie Energiespeicher vorne dabei sein" könnten. Das ist so hanebüchen, dass es wehtut - beim Ausbau deutscher Stromnetze können deutsche Unternehmen nur dann toll sein, wenn sie keinen Regeln gehorchen müssen? Was passiert denn sonst? Baut dann Vattenfall Schweden in Deutschland die Stromnetze weil die andere Regeln einachten müssen? Dieser totale Humbug kann überhaupt nur deshalb in dem Pamphlet stehen, weil die Ideologie des "weniger Staat" und "Bürokratieabbau" so überaus reichhaltig ihre giftigen Früchte getragen hat. Weniger Bürokratie und beschleunigte Genehmigungsverfahren sind eine Einladung für einen kommenden Reaktorunfall - oder mehrere.

Unterschrieben ist der Aufruf von einer illustren Runde der Unsympathen:
Josef Ackermann, Deutsche Bank
Dietrich Austermann, schleswig-holsteinischer Wirtschaftsminister a. D., CDU
Werner Bahlsen, Bahlsen
Paul Bauwens-Adenauer, Bauwens
Wulf Bernotat, BDI-Vizepräsident, früher E.on
Oliver Bierhoff, Manager der Fußball-Nationalmannschaft
Manfred Bissinger, Publizist
Herbert Bodner, BDI-Vizepräsident
Wolfgang Clement, Ministerpräsident und Bundesminister a. D.
Eckhard Cordes, Metro
Gerhard Cromme, ThyssenKrupp
Michael Fuchs, Unternehmer
Ulrich Grillo, Grillo-Werke
Jürgen Großmann, BDI, RWE
Rüdiger Grube, Deutsche Bahn
Christopher W. Grünewald, Papierfabrik Gebr. Grünewald, BDI
Jürgen Hambrecht, BASF, BDI-Vizepräsident
Tuomo Hatakka, Vattenfall
Wolfgang Herrmann, TU München
Horst W. Hippler, KIT
Hans-Peter Keitel, BDI-Präsident
Arndt G. Kirchhoff, Kirchhoff Automotive, BDI
Kurt J. Lauk, Wirtschaftsrat der CDU
Ulrich Lehner, Henkel, BDI-Vizepräsident
Friedhelm Loh, Friedhelm Loh Group, BDI-Vizepräsident
Carsten Maschmeyer, MaschmeyerRürup
Friedrich Merz, Rechtsanwalt
Arend Oetker, BDI-Vizepräsident
Hartmut Ostrowski, Bertelsmann
Bernd Scheifele, HeidelbergCement
Otto Schily, Rechtsanwalt
Wolff Schmiegel, Ruhr-Universität Bochum
Bernd Scheifele, HeidelbergCement
Otto Schily, Rechtsanwalt
Wolff Schmiegel, Ruhr-Universität Bochum
Johannes Teyssen, E.on
Rainer Thieme, Salzgitter
Jürgen Thumann, BusinessEurope, Ex-Präsident und heutiger Vizepräsident des BDI
Michael Vassiliadis, IG BCE
Hans-Peter Villis, EnBW
Gerhard Weber, Gerry Weber International
Werner Wenning, Bayer
Matthias Wissmann, VDA, BDI-Vizepräsident

Es finden sich wie erwartet die Vertretet der Arbeitgeberverbände, diverse Vorstände die nicht zur Energiewirtschaft gehören sowie deren direkte Vorsitzenden, einige Mietmäuler aus den Universitäten und natürlich Wolfgang Clement und Otto Schily, die beide bewiesen haben, wie tief man als SPD-Parlamentarier eigentlich fallen kann, wenn nur einmal der letzte Rest an Ehre und Anstand durch großzügige Schmiergeldzahlungen beiseite gewischt wurde.

Wenn eine Voraussage gewagt werden soll, so kann diese nur lauten: Trotz der unglaublichen Frechheit dieser Forderungen wird die Atomwirtschaft damit durchkommen. Die schwarz-gelbe Außenstelle Berlin hat bereits alle Geschütze entsprechend ausgerichtet, Widerstand ist praktisch keiner zu erwarten. Die SPD lähmt sich gerade selbst über die Frage, ob es Hochverrat ist, die Rente mit 67 verschieben zu wollen. Aus der LINKEn hört man keine substantielle Kritik, und die Grünen scheinen ebenfalls zu schweigen. Wir werden wohl bald mit einem Vertragswerk konfrontiert sein, dass die absurden Gewinne der Energiemonopolisten auf die nächsten 28 Jahre festschreibt und an dem zukünftige Regierungen nichts mehr ändern können. Wir können nur hoffen, dass die Energiewirtschaft danach auch genügend Vorstandsposten und Beraterverträge für all die Parlamentarier der schwarz-gelben Huren haben wird, die bei der nächsten Wahl hoffentlich, hoffentlich nicht mehr in den Bundestag einziehen. Brave Hunde sollte man belohnen, egal wie räudig sie sind.

8 Kommentare:

  1. Der Artikel trifft den Atomkern ;-)
    Wie tief kann eine Regierung eigentlich noch sinken? Wenn es nicht so folgenhaft wäre, würde ich gerne über die abstruse Posse eines post-demokratischen Leerstücks lachen können.
    Das Üble ist das Kollektivversagen. Es sind ja nicht nur unsere Politiker, die nur noch zahme Schoßhündchen sind, es sind auch die zu reinen PR-Maschinen mutierten Medien oder das Volk, vor dessen Augen sich alles in aller Klarheit abspielt.
    Der alte Götz von Berlichingen hat mal gesagt "wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten" - gilt das auch umgekehrt? Ich habe da so meine Zweifel.

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  2. Wenn die das echt machen würden, wäre das ein neuer Tiefpunkt in der demokratischen Kultur dieses Landes. Das hätte noch einmal eine völlig andere Qualität als das Mövenpick-Gesetz.
    Nennt mich naiv, aber das traue ich zur Zeit nicht einmal Schwarz-Geld zu, zumindest nicht bei diesen Umfragewerten und bei dieser öffentlichen Aufmerksamkeit.

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  3. Noch in der Kohl-Regierung waren zwar die Mieslinge eindeutig in der Überzahl, aber es gab verschiedentlich Leute, bei denen immer mal wieder Restbestände von Anstand und Moral auftraten (Klaus Töpfer war seinerzeit so ein Fall, oder Leuthäuser-Schnarrenberger in ihrer damaligen Verfassung). Unter Schröder gab es einen massiven "Qualitätssprung" hin zu Leuten, denen
    das politische Amt und die damit verbundenen Pflichten zunehmend wurscht war, und nur dazu diente, ihren "Genossen" unter den Bossen zu willen zu sein (Clement, Tacke, Riester ...etc...). Dies hat sich unter Merkel und den Möven-Pickles nochmal verschärft - das politische Amt hat NUR noch die Funktion des Erfüllungsgehilfen für gerade DIE Teile der Wirtschaft, die Bedarf anmelden - wie momentan die Atomindustrie - und ist somit logischerweise auch Karriere-Sprungbrett für unsre gewählten Polit-Nasen.
    Ich vermute mittlerweile: Ob die Umfragen im Keller sind, der Wähler, das Land oder die Partei, ist diesen Gestalten völlig schnurzpiepgal. Amtspflichten? Wohl zu heiß gebadet? Amtseid? Schaden vom deutschen Volk abzuwe..we..woahahaha...!Diese Figuren wissen, sie haben Zeit bis zur nächsten Wahl, ihren Freunden in der Industrie und den Finanzdienstleistern die passenden Gesetze zu schneidern, und ihnen die Milliarden hinzuschieben, und somit ihre Karriere zu befördern, also tun sie es. Die SIND so.
    Dem Satz, "Trotz der unglaublichen Frechheit dieser Forderungen wird die Atomwirtschaft damit durchkommen." stimme ich deshalb voll und ganz zu. Die in Berlin WERDEN so handeln, ohne Rücksicht auf Verluste.
    (Wer seine 5 Sinne noch beisammen hat, weiß natürlich - so er in den letzten Wochn nicht Augen und Ohren verstopft hielt - daß Strom aus alternativen Quellen vielerorts garnicht ins Netz gelassen wird - ob die Multis das absichtlich blockieren, kann jeder für sich selbst vermuten, jedenfalls gibt es ein Überangebot an Dreckstrom aus Kohle und Atomkraft.)

    Übrigens: Die nächsten durchgeknallten Forderungen sind schon da: Heute fordern Mittelstandsverbände den Urlaub der Arbeitsnehmer von 6 auf 4 Wochen zu kürzen, weil
    (Zitat): "4 Wochen reichen völlig aus."

    http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/4/0,3672,8102084,00.html

    Es besteht natürlich KEINERLEI Zusammenhang zu dem, was vor ein paar Tagen in der ZEIT zu lesen stand:
    "Der Konsum von Antidepressiva nimmt zu" ...
    "...habe sich das Volumen der verschriebenen Antidepressiva unter Deutschlands Beschäftigten in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt: Im Vergleich zum Jahr 2000 gebe es eine Steigerung von 113 Prozent."

    http://www.zeit.de/gesellschaft/2010-08/depression-medikamente

    Dieses merkbefreite Gesindel, das diesen Apell unterschrieben hat, grassiert auf allen Ebenen.

    Grüße

    HHarlkin

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  4. Hallo Stefan,

    nun die Stimmen in der Linken sind schon da.
    Nur Ignorieren unsere Zeitungen und TV-Stationen diese kritischen Stimmen.
    Der Porsche vom Klaus Ernst ist da viel viel wichtiger als z.B das hier:

    http://linksfraktion.de/pressemitteilung.php?artikel=1290129893

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  5. á propos antidepressiva. auf DLF lief gerade eine sendung über mittel, die das denk- und arbeitsvermögen steigern, amphetamine - ritalin usw.
    das fazit war: es gibt keine mittel, die den menschen humaner, mitmenschlicher, sozialer machen.

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  6. "Die Kanzlerin sieht in dieser Anzeige einen vollkommen erlaubten Diskussionsbeitrag"
    soeben in der taz gefunden

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  7. Wie preiswert die Atomenergie wirklich ist sieht man am englischen Beispiel.

    Dort wollte u.s. RWE Atommeiler bauen. Die englische Regierung hat dem zugestimmt, unter der Bedingung, dass die Energiekonzerne alle Kosten tragen müssten. Und mit alle meinten die auch alle. Also Bau, Betrieb, Endlagerung des Atommülls und Abbau der Anlage, ohne jegliche staatliche Sunventionen.

    Die Stromkonzerne haben sich nie wieder gemeldet...

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  8. @Klaus Baum:
    "...mittel, die das denk- und arbeitsvermögen steigern, amphetamine - ritalin usw... das fazit war: es gibt keine mittel, die den menschen humaner, mitmenschlicher, sozialer machen."
    Meine absolut ernstgemeinte Überzeugung ist seit langem, dass wir seit vielleicht zwanzig, dreißig Jahren im Zeitalter der Kokain-Politik leben. Noch nie wurde so viel Kokain wie heute konsumiert, und da es teuer ist, können es sich auf Dauer auch nur diejenigen leisten, die sich heute zur 'Elite' rechnen. Politiker, Banker, Manager. Menschen, die unter Druck stehen.
    Kokain wirkt ja ähnlich, aber viel intensiver als Ritalin und andere Amphetamine und macht bekanntlich: kalt, hart, mit dem Gefühl vollkommener Überlegenheit.
    Leider wird es zu diesem Thema jenseits boulevardesker Badezimmer-Wischtests nie größere Studien geben, denn welcher Politiker, jetzt nur rein theoretisch Schröder, Berlusconi, Sarkozy oder Putin, würde sich freiwillig auf Drogen testen lassen?
    Vielleicht könnte einer der Bertelsmann/Arvato-Menschen, die diese Foren regelmäßig sichten, das vielleicht als Studie vorschlagen? Mein Anreiz: Irgendwie ließe sich damit bestimmt auch Sozialabbau vorantreiben. Zum Beispiel mit Springer zusammen: 'Koks-Karl - Drogen vom Arbeitsamt'

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