Dienstag, 5. April 2011

Der falsche Frühling der SPD

Von Stefan Sasse

Rot-grüne Mehrheiten im Land scheinen wieder möglich. In der Wahl der Hamburger Bürgerschaftsversammlung erreichte die SPD unter dem Agenda-Boy Olaf Scholz die absolute Mehrheit. In Baden-Württemberg ist zum ersten Mal seit 58 Jahren die CDU abgelöst worden. Der Frühling für die SPD jedoch ist reiner Selbstbetrug. Die scheinbare Stärke der Partei ist in Wirklichkeit eine fortgesetzte Schwäche ihrer Gegner, möglich gemacht durch externe Faktoren, auf die die SPD keinerlei Einfluss besitzt. Das sind: die katastrophale Schwäche von Union und FDP, die gewaltige Stärke der Grünen, die Schwäche der LINKEn. Wird auch nur einer dieser Faktoren geändert, sind die rot-grünen Mehrheiten wieder dahin. Schlimmer noch, die Mehrheiten basieren allein auf der Stärke der Grünen, nicht der der SPD. Die hat sich in den Umfragen in nun zwei Jahren seit Sommer 2009 nicht signifikant verbessert und dümpelt immer noch im niedrigen 20%-Bereich herum. Dort wird sie auch bleiben, wenn ihre derzeitige Schwäche anhält.


Tatsächlich ist die Talfahrt der SPD, die durchaus mit der der FDP vergleichbar ist, noch nicht zwingend zu Ende. Nils Schmid hat in Baden-Württemberg bewiesen, dass es durchaus möglich ist, schlechte SPD-Ergebnisse noch zu unterbieten. Die Strategie der Sozialdemokratie ist dieselbe wie noch in der Großen Koalition: die LINKE ignorieren und marginalisieren und nach Möglichkeit aus dem Parlament drängen, um möglichst nicht mit ihr koalieren zu müssen. Um den Verdacht möglicher Zusammenarbeit oder auch nur inhaltlicher Nähe von sich weisen zu können, wird der “Pragmatismus” der SPD bis ins Lächerliche überhöht. Mit “Pragmatismus” ist dabei nur die reine Verwaltung des Staatswesens unter den Auspizien neoliberaler Wirtschaftsideen gemeint. Für die SPD bedeutet das eine Umsetzung der und Ausrichtung an den Agendareformen.

Es ist aber kaum glaubhaft, dass es der SPD gelingen sollte, bei der Bundestagswahl 2013 mit dieser Strategie tatsächlich zu punkten. Das Verwalten des Staates, das “pragmatische” Regieren, ist geradezu der Markenkern der CDU und ihrer Kanzlerin Merkel. Steinmeier ist selbst einer grauen Maus wie Merkel gegenübergestellt blass. Im besten Fall verbindet der Wähler mit ihm nichts, im schlimmsten Fall erinnert er sich an den Initiator der Agenda-Politik. Trotzdem ist die SPD von der fixen Idee besessen, mit ihrer Verwaltungsregierung und scheinbaren Ideologielosigkeit (die in sich ja schon wieder eine Ideologie ist) zur Wählergunst zurückzufinden, umso mehr nach Hamburg. Dieses Phänomen könnte man die Schmidt-Krankheit nennen.

Das historische Vorbild der Kanzlerschaft Helmut Schmidts scheint die Antriebsfeder dieser Strategie zu sein. Helmut Schmidt ist bis dato der beliebteste Kanzler der Republik, sein Ruf innerhalb der BRD glänzend. Gerne wird er in Talkshows eingeladen, gerne interviewt oder um Rat gefragt. Als die SPD 2009 begann, sich von der Nibelungentreue zur Verlängerung des Afghanistanmandats – oh so zögerlich – zu lösen, gingen Steinmeier und Gabriel vorher zu Helmut Schmidt und holten öffentlich seinen Rat ein, um auf diese Art jeden Vorwurf des Populismus zu umgehen. Schmidt gilt als reiner Pragmatiker, der ohne Ideologie regiert hat. Dieses Bild seiner Kanzlerschaft ist aber überhöht und geschönt: zum einen war Schmidt trotz allem Sozialdemokrat und fühlte als solcher, und zum anderen steigen Steinmeier und Gabriel hier in Schuhe, die ihnen selbst zusammen mehrere Nummern zu groß sind.

Schmidt besaß Sachverstand und eine Gabe zur Analyse, die zumindest Steinmeier völlig abgeht. Schmidt war geradezu das Abziehbild eines Hanseaten; seine Attitüde war genuin, seine berühmte “Schmidt-Schnauze” gehörte zu ihm. Die Versuche, diese Haltung und Politik einfach nur zu kopieren, müssen ins Desaster führen. In Schmidts Heimat, wo die CDU ohnehin strukturell schwach ist und die Sozialdemokratie eine ihrer Hochburgen besitzt, konnte das gelingen. Auf Bundesebene aber ist es kein Rezept. Merkel fehlt zwar völlig die bodenständige Glaubwürdigkeit Schmidts, aber einem Steinmeier ist sie immer noch um Längen voraus. Die SPD kann und darf sich nicht mehr an Schmidt orientieren, sie hat das viel zu lange getan und verkennt dabei auch, dass es Schmidt war, unter dem die SPD zunehmend an Terrain verlor. Seine Ignoranz und hochmütige Verdrängung der Umwelt- und Friedensbewegung entfremdete diese bis heute der SPD und führte zum Aufstieg der Grünen. Die SPD muss auf Brandt schauen, nicht Schmidt.

Allein, Brandt ist vergiftet. Nicht nur gilt er als Visionär und Hans-kuck-in-die-Luft – zu Unrecht. Oskar Lafontaine hat die Wirkung, die vom ersten sozialdemokratischen Kanzler der BRD ausgeht, richtig erkannt und ihn gerne für sich mit Beschlag genommen, was ihm wegen seiner persönlichen Vergangenheit mit Brandt umso leichter fallen musste. Brandt als neues Vorbild auszugeben führte die SPD deswegen in die Nähe der LINKEn, in die sie partout nicht will. Es führt für die Sozialdemokratie aber kein Weg daran vorbei, endlich eine neue, eigene Vision der bundesdeutschen Gesellschaft zu entwerfen und dieses Ziel zu vertreten. Es kann nicht mehr damit getan sein, die Agenda zu verwalten und daran herumzubessern. Schmidt hatte auch deswegen Erfolg, weil er Brandts Reformen verwaltete. Hätte er mit seiner Politik ein Erbe wie das Schröders antreten müssen – Kohl hätte 1976 die Wahl gewonnen.

Die Frühlingsluft, die die SPD gerade zu schnuppern vermeint, ist vergiftet. Sie ist durchsetzt von den Grünen, denen allein sich die rechnerische Mehrheit für Rot-Grün verdankt. Und nirgendwo findet sich gerade auch nur eine kleine Duftmarke von Schwarz, Gelb oder Dunkelrot. Die SPD feiert einen falschen Frühling und wenn der Winter erneut hereinbricht, wird er das mit Gewalt tun und den einen oder anderen, der allzu euphorisch alle Vorsicht fahren lässt, in den Abgrund reißen.

1 Kommentar:

  1. Ja, woher will die SPD denn Stärke nehmen, wenn sie ihre kapitalistische Attitüde, z.B. die Mitarbeit bei der "Initiative Soziale Marktwirtschaft", wo nichts Soziales zu finden ist, nicht einstellt. Oder Gesundheitspolitiker, die im Aufsichtsrat von privaten kliniken sitzen passen auch nicht zu einer SPD:

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