Freitag, 22. April 2011

Too fast, too furious

Von Stefan Sasse

Unter der Überschrift “Markenkernausstieg” befasst sich Stefan Braun in der SZ mit dem Atomausstieg und der zugehörigen Kehrtwende der CDU. Er konstatiert eine stakkatoartige Reihung von Krisen, die die Regierungspartei habe bewerkstelligen müssen, in denen pragmatische Entscheidungen notwendig waren und weswegen der “Markenkern” der CDU immer mehr verwische, die für Programmdebatten keine Zeit mehr habe. Ich möchte dieser Einschätzung entschieden widersprechen. Gerade die von Braun als Beispiel herangezogene Guttenberg-Affäre taugt nicht als Gradmesser. Hier hätte die CDU ihren Markenkern öffentlichkeitswirksam zur Schau stellen können und hat schmählich versagt. Viel beunruhigender als diese Referenz aber erscheint mir die generelle Postulierung eines Zustandes rapider Veränderung. Sicher, derzeit finden mit Libyen und Fukushima zwei Krisen gleichzeitig statt. Aber ist das wirklich so neu? Muss das eine Regierung so gnadenlos überfordern, wie das augenscheinlich der Fall ist?



Ich sage Nein. Krisen finden immer wieder statt, ihre Bewältigung gehört zur Kernkompetenz von Politikern. Es ist gerade ihre Aufgabe, Kompromisse zu finden und neue Lösungen vorzuschlagen. Das Ausarbeiten derselben ist Aufgabe der jeweiligen Ministerialbürokratie. Beides aber wird in letzter Zeit allzuoft vermischt. Es verfestigt sich der Eindruck, dass es die Politiker wären, die jetzt daran denken müssen, wie genau der Atomausstieg zu funktionieren habe, mit welchen Anteilen von welcher Förderung er bezahlt werden kann. Das aber ist falsch. Das Frontpersonal der Parteien beschäftigt sich mit sinnlosen Details, während die großen Linien überhaupt nicht festgelegt sind. Will man nun aussteigen oder nicht? Das ist die Frage, der sich Merkel und Co widmen müssen, nicht dem Wie. Sie müssen entscheiden und vermitteln, nicht am Kleinklein herummachen. Das müssen sie nur präsentieren. Sie haben untergeordnete Jobs usurpiert, und ihre eigenen hat niemand übernommen. Dieses Dilemma trifft auch die Oppositionsparteien.

Brauns Einschätzung, dass Merkel keinen “Markenkern” besitze, ist in ihrem sechsten Regierungsjahr nicht mehr rasend originell. Aber welche Folgerung muss daraus gezogen werden? Wer kam überhaupt auf die Idee, die Frage nach dem Strom aus Atommeilern zu einem Markenkern der Union zu erklären? Von Anfang an war diese Position der CDU eine reine Reaktion auf die Sponti-Grünen, deren Atomprotest man so abfing und mit der man der Abneigung gegenüber ihrem Basisprotest ein politisches Gesicht geben konnte. Doch schon seit dem rot-grünen Atomausstieg ist mit dem Thema eigentlich kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Man präsentierte sich als harte Konservative, weil man dagegen war. Es ist genau das, was man dem Gegner immer vorgeworfen hat. Jetzt, da die normative Kraft des Faktischen die CDU aus Japan überrollt, steht der Kaiser ohne Kleider da. Welche Argumente besaß man denn für die Kernkraft? Eigentlich nur Schreckensszenarien, die durch die Wirklichkeit widerlegt wurden. Auch ohne die Meiler ist Strom da, der Preis rast nicht hoch, und der Ausstieg ist machbar.

Die Argumentation, dass die Vielzahl und schnelle Aufeinanderreihung von Krisen die CDU überfordern würde, erinnert an das alte Credo, das früher von den Neoliberalen der alten Schule geschwungen wurde. Es ist seit einiger Zeit nicht mehr hörbar. Erinnert sich noch jemand? “Die Globalisierung ist ein unaufhaltsamer Naturprozess. Sie ist rasend schnell. Sie verändert alle. Man kann nichts dagegen tun, nur mit dem Strom schwimmen und die Schleusen rechtzeitig öffnen.” Einen Finanzkrise später hat die ganze Welt gesehen, wie schnell der Prozess gestoppt werden kann, wenn man nur will (man will derzeit nicht, aber das Potential war sichtbar). Das gleiche geschieht jetzt bei der Atomkraft. Bedenkt man, wie frühere Regierungen EU-Krisen, Währungskrisen, Terrorkrisen und radikale Veränderungen der außenpolitischen Rahmenbedingungen überstanden haben und das Land sogar gestärkt daraus hervorging (auch so eine Merkel-Phrase), dann kann man nur mitleidig schauen.

Ihr wolltet dieses Land regieren, Freunde. Also regiert es auch und beschwert euch nicht darüber, dass das Arbeit macht. Was habt ihr euch denn vorgestellt? Dass ihr die obersten Sachbearbeiter in einem wundersam laufenden Apparat seid? Das funktioniert nur solange, wie keine äußeren Einflüsse den Betrieb stören, und das ist ein Zustand, wie ihn Forschungslabore meist vergeblich zu erreichen versuchen. Es ist kein Zustand, wie ihn Gesellschaften und Staaten innehaben. Wir haben Politiker nicht dafür, dass wir sie beobachten können, wie sie vor einem Problem stehen und mit den Schultern zucken, bevor ihnen irgendjemand von außen sagt, was sie tun sollen. Politiker müssen führen. Wenn sie das nicht können, haben sie den falschen Job. Wenn ihr verwalten wollt, gerne. Ich für meinen Teil akzeptiere gerne die Benennung von 600 neuen Staatssekretären und die Wahl von Leuten, die eine Idee haben, wohin dieses Land gehen soll und die bereit sind, darüber zu streiten. Einfach nur auf der Brücke zu stehen und zu hoffen, dass man nicht auf irgendein Riff läuft, während der Kahn führerlos durch die Weltmeere treibt, ist ein bisschen wenig.

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