Freitag, 18. Oktober 2013

Warum der Begriff "Wahlversprechen" abgeschafft gehört

Es gibt kaum einen so billigen und allzeit verwendbaren Witz, als auf Frank Münteferings Wort von den Wahlversprechen, an denen die Politiker zu messen unfair sei. Tatsächlich hat Müntefering nämlich Recht. Aber dass die Menschen und besonders die Medien so aggressiv reagieren, wenn wieder einmal eine Partei ein ihnen teures "Wahlversprechen" bricht, und dass dieselben Leute überhaupt nicht reagieren, wenn ihnen das "Versprechen" egal ist zeigt, dass moralische Maßstäbe anzulegen schlichtweg wenig Sinn macht.

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http://www.deliberationdaily.de/2013/10/warum-der-begriff-wahlversprechen-abgeschafft-gehoert/Ein "Wahlversprechen" ist nämlich in Wahrheit eine "Wahlabsichtserklärung". Die Parteien erklären, was sie tun WOLLEN, wenn sie denn nur die Macht dazu HÄTTEN. Da in einer Demokratie aber das Prinzip der Gewaltenteilung herrscht (Checks&Balances) und zusätzlich die BRD ein föderaler Staat sind, dessen Zusammensetzung sich wegen der ineinander verschobenen Legislaturperioden in der laufenden Legislatur ändert, ist ein echtes "Wahlversprechen" eine faktische Unmöglichkeit. Die Idee eines Wahlversprechens zeugt sogar geradezu von mangelndem demokratischem Verständnis, denn ohne Rücksicht auf Koalitionspartner und Vetospieler lassen sich nur auf verfassungswidrigem Wege irgendwelche politischen "Versprechen" wahr machen. Der Begriff ist auch aus anderem Grund problematisch: Politik ist zu einem gigantischen Teil der Umgang mit Krisen und aktuellen Entwicklungen. Absichtserklärungen im Wahlkampf sind eine Momentaufnahme. Viele Wahlversprechen haben sich bereits unter dem Druck aktueller Ereignisse in Luft aufgelöst, weil die Grundlage schlicht nicht mehr gegeben war. Der Begriff selbst ist daher zumindest mit Schuld an der negativen Wahrnehmung von Absichtserklärungen in Wahlkampf und Parteiprogramm. Dabei bieten diese so oder so nur eine grobe Orientierung. Das Merkwürdige ist, dass die Bevölkerung Wahlversprechen üblicherweise auch instinktiv so betrachtet: reine Absichtserklärungen, die unter den Bedingungen des echten politischen Alltagsgeschäfts nicht bestehen können. Die Rhetorik ist dagegen eine andere; gerne beschwert man sich über die lügenden Politiker, denen nicht zu trauen ist, würde sich aber sofort beschweren wenn diese auf dem Prinzip beharren, wenn dieses in den Untergang führt (wie die Tea Party gerade in den USA erfährt). Und Treue zu Versprechen der gegnerischen Partei wird ohnehin nicht eingefordert, sondern deren Einbrechen goutiert. Franz Münteferings Wort, es sei unfair, Politiker an Wahlversprechen zu messen, ist daher wahr. Es wird zwar gerne als Paradebeispiel für den Zynismus der Politiker vorbeiparadiert, ist aber tatsächlich lediglich ein Nennen des Offensichtlichen: zwischen Koalitionspartner, Bundesrat und dem Druck von Tagesereignissen lassen sich die eigenen Ziele eben nicht hundertprozentig durchsetzen. Der Anspruch selbst ist undemokratisch.

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