Donnerstag, 1. Mai 2014

Wider die falsche Debatte: Warum wir Steuererhöhungen brauchen

Stefan Pietsch hat in seinem Artikel "Wider Steuererhöhungen: Warum wir keine Steuererhöhungen brauchen" auf eindrucksvolle Weise belegt, dass (besonders) die Mittelschicht in Deutschland trotz der Senkung der Spitzensteuersätze unter Rot-Grün heute mindestens gleich viel, wenn nicht sogar mehr Steuern bezahlt als ehedem. Für ihn ist das Verdikt daher klar: Das ohnehin hohe Steuerniveau macht es wirtschaftlich völlig unsinnig, ja kontraproduktiv, die Steuersätze weiter anzuheben. Und wenn dies eine Forderung wäre, die ich so vertreten würde, dann hätte er mit seiner Kritik auch vollkommen Recht. Allein: er führt hier ein Scheingefecht, denn ich bin vollkommen bei ihm. Eine weitere Erhöhung des Spitzensteuersatzes, eine weitere Streichung von für die Mittelschicht relevanten Ausnahmebeständen wäre der völlig falsche Weg. In seinem Schlusssatz lässt sich Pietsch wohlfeil die richtige Frage offen:
Die natürliche Grenze des Erträglichen ist erreicht. Eine längst angezeigte neue Steuerreform würde für mehr Wachstum sorgen. Leider ist die politische Stimmung nicht danach.
Völlig richtig. Wenn wir also nicht einfach nur durch die Bank die hart arbeitenden Krankenschwestern weiter belasten wollen, aber trotzdem mehr Geld für die anstehenden Ausgaben brauchen - was ist zu tun?

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Ich möchte an dieser Stelle zuerst einmal kurz auf eine Kritik aus den Leserkommentaren eingehen: sowohl Stefan Pietsch als auch ich beschreiben gerade die Luxusprobleme der Mittelschicht, was zwischen 20 und 40% der Einkommenssteuerzahler betrifft. Wir reden vermutlich deswegen wenig über Niedriglöhner, weil deren Anteil am Einkommenssteueraufkommen eher gering ist und die meisten Reformen sie weniger betreffen als die meisten Sozialleistungen, etwa kostenfreie Kitas oder subventionierter öffentlicher Nahverkehr. Irgendwelche Abschreibungsmöglichkeiten oder kreative Berechnungsmethoden stehen, leider, nur denjenigen offen, die verhältnismäßig viel verdienen. Allzu häufig wird in der Debatte die "gute alte Zeit" (wahlweise die Kohl-Ära, die sozialliberale Zeit oder die Adenauer-Jahre) den heutigen Zuständen gegenüber gestellt. Unter Kohl zahlten wir noch 53% Spitzensteuersatz! Rot-Gelb führte das Kindergeld ein! Unter Adenauer gab es einen Spitzensteuersatz von 90%! Aber, erstens war die gute alte Zeit bei näherer Betrachtung so gut dann doch nicht, und zweitens hat Stefan Pietsch bereits zu recht darauf verwiesen, dass auch noch ganz andere Faktoren eine Rolle spielen: die Steuersätze jenseits der 80% aus den 1950er Jahren bezahlte weder dieseits noch jenseits des Atlantiks jemand. Welchem Problem stehen wir also gegenüber? Unser Problem ist, dass die Steuerbelastung für die Mittelschicht bereits relativ hoch ist. Gleichzeitig will aber niemand ernsthaft die Sozialleistungen zurückfahren. Dies wird besonders bei der fiskalischen Irrsinnspolitik der CDU deutlich, die sich beständig mit dem Etikett der Wirtschaftskompetenz und der Ideologie der "schwäbischen Hausfrau" schmückt: sie will zwar gerne sämtliche Leistungen haben (die größte Expansion des Sozialstaats seit Helmut Schmidt fand unter Merkel statt), diese aber nicht bezahlen. Diese Quadratur des Kreises lässt sich nur auf eine Art aufrecht erhalten. Es geht auf Kosten der Substanz (Stichwort mangelhafte Investition in Infrastruktur aller Art*) und durch Schulden. Letztere machen angeblich nur die anderen, weswegen die CDU sich immer auf die magische Finanzierung aus den laufenden Einnahmen beruft, was dann ein gangbarer Weg wäre, wenn sich diese in ihrer Tendenz ad infinitum fortschreiben ließen. Nur läuft die Wirtschaft zyklisch. Die seriöse Art der Finanzierung von Staatsausgaben aber - die Gegenfinanzierung durch Steuern - will die CDU nicht gehen, genausowenig die ebenso seriöse Art der Schuldenaufnahme. Warum spreche ich über dieses Problem, wo es eigentlich um Steuererhöhungen geben soll? Weil innerhalb Deutschlands der Konsens ist, dass der Staat die Ausgaben tätigen soll, die er aktuell tätigt, und dann noch ein bisschen mehr. Dieser Konsens wird auch von allen Parteien mitgetragen (die Differenzen entstehen darüber, wo das Geld hinsoll, nicht dass es ausgegeben werden soll). Das mag man bedauern (ich für meinen Teil tue das nicht), aber es ist Realität. Und die Staatsausgaben sind, da haben die Kritiker durchaus Recht, gerade durch die angesprochenen Expansionen der letzten Jahre auf einem sehr hohen Niveau und müssten, wenn man die Infrastruktur nicht weiter verfallen lassen will, noch weiter steigen. Gleichzeitig aber liegt eine Schieflage innerhalb des Steuersystems vor. Die Mittelschicht wird überproportional belastet. Dass bei den Niedriglöhnern nicht viel zu holen ist, sollte allgemein bekannt sein - hier sollte das Ziel eigentlich weiterhin sein, einen Aufstieg in die Mittelschicht möglich zu machen, ein Ziel, das leider in den letzten Dekaden klammheimlich aufgegeben worden ist. Mittlerweile ist die soziale Mobilität in Deutschland katastrophal. Dazu hat das kürzlich in englischer Übersetzung erschienene Buch "Kapital im 21. Jahrhundert" des französischen Ökonomen Thomas Piketty hat einen bereits länger bekannten Sachverhalt in die öffentliche Debatte katapultiert: die Ungleichheit der Vermögen ist auf einem extrem hohen Niveau und steigt weiter (wenn man den Argumenten Pikettys folgt - selbst als Ist-Beschreibung ist die Situation aber als dramatisch zu betrachten), was daran liegt dass die wirklich Vermögenden ihr Geld effektiv vor dem Zugriff der Gemeinschaft schützen. Dies kann man gutheißen. Ich tue das nicht, weil die extreme Ungleichverteilung der Vermögen und Einkommen (und es geht nur um die Extreme, nicht um niedrige sechsstellige Jahresgehälter) volkswirtschaftlich kontraproduktiv wirkt. Die echten Großverdiener (die etwa von den Reichensteuern anvisiert werden) entziehen sich und ihr Vermögen dem üblichen System. Dies liegt nicht nur an der Waffenungleichheit hochbezahlter Steuerberater gegenüber ausgedünnten Finanzämtern (da haben wir wieder die waidwunde Infrastruktur), sondern auch an der Natur dieser Vermögensbildung. Sie findet weniger in klassischer Erwerbsarbeit mit einem Einzelarbeitsvertrag und monatlicher Gehaltsabrechnung statt (die hat noch nie jemanden zum Millionär gemacht), sondern über Kapitalerträge und Erbschaften. Beide Formen des Vermögenserwerbs sind aber gegenüber der tatsächlichen Erwerbsarbeit deutlich bevorzugt. Für Kapitalerträge gilt eine separate Flat-Tax, während Erbschaften äußerst gering und Vermögen gar nicht besteuert werden. Beides ist eigentlich nicht nachvollziehbar. Es wäre daher gut vorstellbar, die Kapitalertragssteuer komplett abzuschaffen und Kapitalerträge vollständig auf das zu versteuernde Einkommen anzurechnen (die Steuerstufen können danach ja leicht angepasst werden, um die bisherigen Freibeträge wiederzuspiegeln, damit der brave deutsche Sparer nicht benachteiligt wird). Dies würde zu einer Verbreiterung der Steuerbasis führen, die eventuell sogar eine Absenkung der allgemeinen Steuersätze in den Bereich des Vorstellbaren rückt. Eine Vermögenssteuer wird wegen des gigantischen Verwaltungsaufwands als ineffizient angesehen. Möglich wäre sie in Form einer einmaligen Sonderabgabe (beispielsweise zur Tilgung der Lasten der Finanzkrise), aber generell stimme ich zu, dass der Aufwand hier den Ertrag nicht lohnt. Überhaupt nicht nachvollziehbar ist aber auch die Zurückhaltung der Gesellschaft beim Thema Erbschaften. Das große Missverständnis ist hier, wie bereits bei der Steuerdebatte, als Referenzpunkt das Haus der Eltern anzunehmen, das der Staat dann wegzunehmen gedenkt. Darum kann es überhaupt nicht gehen. Es ist absolut sinnvoll, einen gewissen Teil eines Erbes komplett steuerfrei zu stellen, um einen familiären sozialen Aufstieg leichter möglich zu machen. Eine Bemessungsgrenze von ein oder sogar fünf Millionen Euro nimmt praktisch die gesamte Mittelschicht und ihre Heimimmobilien völlig aus. Problematisch sind vielmehr die vollkommen leistungsfrei ererbten Supervermögen, die in gewaltigem Ausmaß zu der Vermögenskonzentration beitragen, die Piketty anspricht. Sie entwickeln sich immer mehr zu einer volkswirtschaftlichen Belastung (und ja, selbstverständlich braucht es Sonderregelungen für Betriebsvermögen). Gleichzeitig gibt es übrigens auch keinen Grund für die Beitragsbemessungsgrenzen der Sozialversicherungen - dies ist zwar nur indirekt ein Steuerthema, gehört aber deutlich in den Komplex "Netto vom Brutto" mit hinein. In der öffentlichen Wahrnehmung besteht zwischen den Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern ohnehin kein entscheidender Unterschied. Höhere Steuern sind kein Selbstzweck. Man treibt sie nicht ein und schaut danach, was man mit dem Geld denn Schönes anfangen könnte. Wenn die Gesellschaft die Leistungen des Staates zurückfahren will, um niedrigere Steuersätze zu genießen (etwa nach amerikanischem Vorbild), kann sie dies tun. Aktuell ist ein solcher Trend nicht zu spüren, stattdessen geht es eher in die andere Richtung. Die Frage kann daher nicht sein, ob, sondern wie das Ganze bezahlt wird. Und eine weitere Schröpfung der Mittelschicht ist genausowenig zu machen wie eine weitere Entnahme aus der Substanz. *Unter Infrastruktur wird im Folgenden eine ganze Reihe von Standortfaktoren gefasst: Verkehrswege, Bildungssystem, Institutionen, etc.

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