Donnerstag, 31. Juli 2014

Oh Hungary, where art thou?

In einem Vortrag vor Anführern der ungarischen "völkischen Bewegung" (in Mangel eines besseren Wortes) hat der ungarische Premier Victor Orban vor fünf Tagen offen seine Absicht kundgetan, Ungarn in einen "illiberalen Staat" zu verwandeln. Was er damit meint hat er bereits vor über zwei Jahren in einem Interview in der FAZ genauer erklärt: eine Verortung Ungarns in dem, was er als "christliche Tradition" ansieht und eine deutliche Ausgrenzung all derer, die nicht in diese "christliche" Wertegemeinschaft passen - seien es Ausländer, Juden, Sinti und Roma oder Sozialdemokraten, das ist Orban letztlich eins. Argumentierte er in der FAZ noch auf einer Linie, die beim flüchtigen Hinsehen der von CDU und besonders CSU ähnelt, so lässt er in der scheinbaren Sicherheit des rumänischen Kongresses mit seinen Kollegen die Katze aus dem Sack.

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Orban argumentiert mit klaren Vorbildern: Russland, die Türkei und China sind für ihn der Maßstab. Bei allen dreien handle es sich um illiberale Staaten, von denen mindestens China nicht einmal eine Demokratie sei, und sie alle haben es geschafft. Am interessantesten aber dürfte seine Bemerkung sein, dass er keinen Grund sehe, als illiberaler Staat nicht in der EU verbleiben zu können. Als finale Nebelkerze erklärte er zudem, dass er zwar den Liberalismus ablehne, aber bestimmte Werte - er nannte Freiheit - beibehalten wolle. Das ist natürlich Kokolores. Freiheit ist zentraler Gegenstand des Liberalismus. Wer einen illiberalen Staat aufbauen will, kann keinen freien Staat haben, besonders wenn man die bisherigen Erfahrungen in Ungarns Umgang mit Minderheiten in Betrachtung zieht. Die Frage ist nun, was Orbans Roadmap eigentlich genau ist. Er erklärte bereits im FAZ-Interview von 2012, dass er die große Schwäche der EU gerade in ihrer tiefen Integration sehe und nannte explizit die gaullistischen Tendenzen in Frankreich als Gegenmodell. Ungarns Rolle als einsamer Verbündeter Camerons gegen die Wahl Junckers zum Kommissionspräsidenten zeigt ebenfalls, dass sein europapolitisches Ziel die Ausbremsung jeglicher Integrationsmechanismen in der EU ist. Seine Außenpolitik orientiert sich außerdem in einer unheimlichen Ähnlichkeit zur deutschen an "besonderen Beziehungen" zu China und Russland, von denen sich Orban einen Aufschwung des ungarischen Handels erhofft. Diese außenpolitischen Visionen Orbans sind protofaschistische Romantik. Sie widersprechen sämtlichen Rahmenbedingungen für Ungarn. Man sieht dies bereits an den Beispielen, die Orban aufzählt: Chinas Wirtschaftsaufschwung wird von einer zaghaften Liberalisierung begleitet, und Russlands völlige Abkehr von liberalen Prinzipien in den letzten Jahren hat das Land in eine tiefe Wirtschaftskrise gestürzt, über die eine Zeit lang nur durch den nun politisch nicht mehr möglichen Gashandel hinweggetäuscht wurde. Auch die Türkei befindet sich am Anfangspunkt einer Abwärtsspirale, seit Erdogan das Land in eine autoritäre, halb-diktatorische Richtung entwickelt, wie sie auch Orban vorschwebt. Der ungarische Lebensstandard ist zudem höher als in den aufgezählten Ländern; ob er sich also illiberal erreichen lässt, ist überhaupt nicht bewiesen. Dass Ungarn wirtschaftlich in die EU-Strukturen eingebunden ist und sein Außenhandel auch mehrheitlich mit der EU stattfindet, setzt dem ganzen Unfug nur die Krone auf. Innenpolitisch dagegen ist Orbans Ziel die Errichtung einer plebiszitären autoritären Herrschaft. Hier sind die Anklänge an Russland und die Türkei, wo Erdogan und Putin die Verfassung effektiv aushebeln und den Machtapparat des Staates skrupellos zum Gewinnen von Wahlen einsetzen, besonders deutlich. Gleiches gilt für den Umgang mit Minderheiten; sowohl in der Türkei als auch in Russland hat er sich unter dem Trend zum Autoritären drastisch verschärft, eine Entwicklung, die wir seit Jahren auch in Ungarn beobachten können. Orban hat bereits seit Längerem eine unabhängige Presse ausgeschaltet und durch ein seiner Fidesz-Partei genehmes Wahlgesetz seine Mehrheit praktisch gesetzlich festgeschrieben. Letztlich weist Ungarn unter Orban den acquis communitaire, die gemeinsame Rechtsgrundlage der EU, zurück. Diese beinhaltet auch das westlich-liberale Verständnis von Grund- und Menschenrechten, zu denen Orban zwar die notwendigen Lippenbekenntnisse abgibt, die er aber als "leblos" betrachtet - und sich damit ohnehin nicht an sie gebunden fühlt. Mit Ungarn entsteht an der europäischen Peripherie eine neue Halbdiktatur, die sich auf eine Mitgliedschaft in der EU (und nach aktuellem Stand sogar in der EVP) stützen kann und daraus außenpolitische Legitimität gewinnt. Es ist an der Zeit, dass die EU Schritte gegen Ungarns Regierung unternimmt. Das Beispiel der fehlgeschlagenen Sanktionen gegen Österreich sollte sie dabei nicht abschrecken. Es ist zum Einen notwendig, dass die EVP ihre 14 Fidesz-Abgeordneten ausschließt. Ihre Mitgliedschaft in einer demokratischen Fraktion ist nicht tolerierbar und muss als öffentliches Zeichen beendet werden. Gleichzeitig sollte die EU auf die Einhaltung der EU-Verfassung pochen, die den Mitgliedsstaaten eine illiberale Politik à la Fidesz eigentlich verbietet. Hierzu ist es nötig, Verfahren vor den europäischen Gerichten anzustreben und notfalls politischen Druck auszuüben. Eines aber darf die EU keinesfalls tun: schweigend hinnehmen, dass einer der ihren unter dem impliziten Segen des Ganzen sich in etwas verwandelt, das die EU eigentlich abzuschaffen angetreten ist.

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