Samstag, 4. Oktober 2014

Ich lag falsch (5): Don't tell me who I am

Originalbeitrag auf Deliberation Daily.

Geschlechterrollen gibt es schon seit Ewigkeiten. Bereits bei Adam und Eva waren sie klar verteilt: "Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht." Woraufhin Gott ihm die Frau als Hilfe zur Seite stellte. Gemacht war sie aus einem Teil des männlichen Menschen, ihre Identität war ihm zur Seite zu stehen. Aber nicht einmal das bekam sie hin, denn sie verriet ihn aus Naivität an die böse Schlange. Diese Geschichte, die auch heute noch fleißig gepredigt wurde, diente Christen über Jahrhunderte zur Rechtfertigung ihrer Herabwürdigung von Frauen. Nicht, dass heidnische Gesellschaften besser gewesen wären. Es gibt wohl nur wenige, in denen Frauen einen so schlechten Status hatten wie im Römischen Reich. Dagegen war die christliche Misogynie geradezu ein Segen. Auch bei den alten Griechen war man nicht gerade auf der Seite des Fortschritts, was Geschlechterrollen anging.

Argumentiert wurde dabei eigentlich fast immer gleich: Der Mann wurde, mit unterschiedlichen Begründungen, als dominanter Teil gezeigt, dem die öffentliche Sphäre unterlag und der für Schutz und Versorgung von Frau und Kindern zu sorgen hatten, die rechtlich häufig auf derselben Stufe standen. Natürlich war dies auch für den Mann nicht ganz ohne Nachteile, oblag es doch ihm, in die zahllosen Kriege zu ziehen, die für die menschliche Geschichte so kennzeichnend sind. Da jedoch zu allen Zeiten Armeen sich nicht auf das Töten gegnerischer Kombattanten beschränkt haben, ist das nur ein sehr schwacher Trost.

Es gehört mit zu den in der Einführung angesprochenen Blindheiten, dass ich mich bei der Betrachtung von Geschlechterrollen immer nur auf die politische und rechtliche Gleichstellung beschränkt habe. Selbstverständlich gilt auch weiterhin meine Aussage, dass sowohl Männer als auch Frauen im überwiegenden Teil der Geschichte sehr wenig bis nichts zu sagen hatten. Das ändert aber nichts daran, dass jenseits der politischen Enrechtung der Mann deutlich mehr Rechte als die Frau genoss. Nicht nur, dass er häufig über die Frau als Eigentum verfügte (was in zahllosen Kulturen auch zeremoniell bestätigt wird); oft war er auch alleiniger Verwalter des Hausstands und einziger legaler Vormund der Kinder. Scheidungen waren fast immer nur für den Mann möglich, und die Frau zu schlagen oder anderweitig zu misshandeln galt nicht als Verbrechen, sondern als Prärogativ des Mannes. Bis 1997 (!) war es in der Ehe für eine Frau nicht möglich, ihrem Ehemann sexuelle Dienste zu verweigern. Mir ist es inzwischen unbegreiflich, wie ich diese Fakten einfach unter den Tisch kehren konnte, aber ideologische Verblendung hilft da wohl.

Legitimiert werden diese Rollenbilder häufig mit "Tradition" beziehungsweise "Kultur" auf der einen oder biologischen Faktoren auf der anderen Seite. Natürlich bestreitet niemand, dass Frauen und Männer durch ihre biologische Disposition voneinander getrennt werden: nur eines der beiden Geschlechter kommt in den zweifelhaften Genuss von Schwangerschaft und Entbindung und produziert danach nahrhafte Muttermilch. Daraus jedoch eine fundamentale Schieflage in den Rechten zu konstruieren ist mehr als nur gewagt. Es fügt zum Schaden auch noch den Spott dazu. Genau das aber geschieht ständig. Frauen werden mit Mutterschaft und Versorgung assoziiert, was sie an Heim und Herd bindet. Eine gleichzeitige Assoziation mit Frauen war und ist grundsätzlich "Schwäche" ("das schwache Geschlecht"), sowohl im Sinne körperlicher als auch psychischer Kraft. Frauen wird unterstellt, emotionaler zu sein als Männer und nicht zu den gleichen Denkleistungen imstande zu sein. Generell wird "weiblich" mit "schlecht" assoziiert, auch wenn das nicht immer explizit ausgesprochen wird, während "männlich" meist "gut" bedeutet. Nivea hat dies für eine Werbekampagne grandios aufgearbeitet:

Das Zurschaustellen von "männlichen" Verhaltensweisen wird für Frauen meist nicht akzeptiert. Dies sieht man häufig bei Politikerinnen oder Unternehmensführerinnen, wenn man ihnen aggressives oder machtgieriges Verhalten vorwirft, das für Männer problemlos akzeptiert wird. Auch hier wirkt sich das Rollenmodell auch für Männer schädlich aus: stellen sie ihre Gefühle zur Schau, gilt dies als "weibisch" oder "schwach". Diese Rollenmodelle reduzieren daher die Palette gesellschaftlich akzeptabler Verhaltensweisen für Männer. Gleichzeitig gelten Zorn und Gewalt für Männer als akzeptierte Gefühlsvehikel (etwa um Trauer auszudrücken), für Frauen nicht. Dass solche Zuschreibungen zu einer Schieflage in der Akzeptanz von häuslicher Gewalt führen, die erst seit kurzer Zeit als Thema erkannt und bekämpft wird, ist nur eine der vielen negativen Auswirkungen dieser Rollenbilder. Für Männer führt dies umgekehrt dazu, dass sie in den selteneren Fällen weiblicher Gewalt über keinerlei eingeübte Konfliktlösungsmechanismen verfügen, da man diese immer nur den Frauen zuschrieb und antrainierte, während sie vor allem kompetitive Strategien kennen.

Das perfide an allen Rollenbildern ist, dass sie, gerade weil sie sich aus einer langen Tradition her begründen, praktisch unsichtbar sind. Wir sind sie gewohnt, sie wurden uns von Geburt an anerzogen. Kleine Jungs werden ermutigt, ihre Grenzen auszuprobieren, während Mädchen eher beschützt werden. Mädchen helfen eher als Jungs bei der Hausarbeit, man gibt ihnen Puppen statt Autos, statt zum Judo gehen sie zum Ballett. Es ist gerade das omnipräsente der Rollenbilder, das sie so mächtig macht, und das den Kampf gegen sie mit einem so großen Backlash kommen lässt - einer heftigen Gegenreaktion der Gesellschaft selbst. Frauen sind hier keinesfalls ausgenommen. Einer der großen Irrtümer des Feminismus war schon immer anzunehmen, dass alle Frauen automatisch auf seiner Seite sind (ebenso wie der Irrtum der Sozialisten war, alle Arbeiter müssten automatisch zu ihnen stehen), und jede Abweichung davon als Verrat wahrzunehmen. Lebenslang antrainierte Verhaltensweisen wieder abzulegen, selbst wenn sie schädlich sind, ist nicht gerade eine kleine Leistung. Für Männer kommt noch hinzu, dass die trotz aller Schäden, die selbst durch das System erleiden, immer noch Netto-Profiteure sind.

Die Versuche des Aufbrechens von Rollenbildern sind daher fast zwangsläufig ein Elitenprojekt. Nur wo das kritische Reflektieren von Denkmodellen eingeübte Routine ist, kann eine Erfolgschance bestehen. Dass der Urboden des Feminismus die Universitäten sind, überrascht daher nicht. Die Gefahr hier besteht hauptsächlich darin, dass die Diskussion in den abstrakten Welten der universitären Welt bleibt. Das Aufkommen einer neuen Generation von Feministinnen, die die erlernten Theorien auch auf bisher als zu profan abgelehnte Wirkungsbereiche anwenden (gerade die Popkultur) und ihre Analysen publikumswirksam und verständlich zu verpacken wissen, könnten hier Wunder wirken.

Doch auch die eher akademischen Diskussionen enthalten wertvolle Ansätze. So mag das Gender Mainstreaming zwar einige extreme Verrennungen in Sackgassen hervorgebracht, ist aber in seiner grundsätzlichen Richtung zu begrüßen. Auch die Ansätze zu einer geschlechtergerechten Sprache, wie sie etwa von Anatol Stefanowitsch vertreten werden, sind trotz ihrer bisher eher mangelhaften Alltagstauglichkeit ein Schritt auf dem richtigen Weg. Was es hier noch braucht sind die Mittler, die die wissenschaftlichen Erkenntnisse aufgreifen und wirkungsvoll verankern können - in einer Art und Weise, die für die breite Bevölkerung auch akzeptabel ist. Bisherige Versuche wie das Binnen-I und seine Geschwister (Asterikse, Unterstriche, etc.) sind nur Krücken und für den Alltag unbrauchbar.

Das Ziel muss es also sein, klassische Geschlechterrollen aufzulösen und die volle Bandbreite an Möglichkeiten für beide Geschlechter zugänglich zu machen. Das heißt explizit nicht, wie von vielen Kritikern befürchtet, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern völlig aufzulösen. Das ist selbstverständlich eine biologische Unmöglichkeit. Das Ziel muss es sein, sie komplett irrelevant zu machen. Es sollen daher nicht Röcke, Ohrringe und Makeup verboten werden oder gleich utopische (oder dystopische) Vorstellungen einer Welt ohne Geschlechtsverkehr und Babys aus der Retorte gepflegt werden. Es geht darum, die akzeptablen Verhaltensweisen, Ziele, Rollen und Möglichkeiten jedes Geschlechts auch auf das andere auszuweiten. Jungs sollen weinen dürfen und Mädchen sich aktiv behaupten, um es plakativ auszudrücken. Und von diesem Ziel sind wir noch weit entfernt.

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