Freitag, 28. November 2014

Die russische Gretchenfrage

"Sag, wie hältst du es mit Russland?" ist derzeit eine Art politischer Gretchenfrage, die ein jeder deutscher Politiker zur allgemeinen Zufriedenheit beantworten muss. Akzeptiert wird dabei alles, was für ein Adenauer-Reenactment notwendig ist. Worauf läuft das raus? Die Russen verstehen nur die Sprache der Gewalt. Wir müssen Rückgrat zeigen. Man darf Putin nicht vertrauen. Es geht um die Werte des Westens und den Schutz der Freiheit. Nur dass Adenauer im Ernstfall kein Problem hatte, mit Chruschtschow zu trinken, um einen diplomatischen Engpass aufzulösen. Wenn man bedenkt, mit wie viel Häme die der deutsche Journalismus immer den "Cowboy im Weißen Haus" George W. Bush und generell die Machismo-Attitüde der Amerikaner in der Außenpolitik verspottete, verwundert dieser plötzliche Anfall von Russenfresserei durchaus. Zielführend ist er außerdem auch nicht gerade.

Das soll übrigens nicht heißen, dass ich plötzlich auf die Seite der "Putin-Versteher" übergewandert bin. Ich glaube es ist relativ eindeutig, dass Putin in der Ukraine keine Absichten verfolgt, die der Kiewer Souveränität zuträglich sind. Auch die Furcht Polens und der baltischen Staaten ist nicht gerade unbegründet. Das ist etwas, das gerne aus dem Blickfeld gerät, gerade in den Kreisen, die sich dieser Tage aus traditioneller Feindschaft zum "Westen" auf der Seite Putins wiederfinden: dass Polen und die baltischen Staaten wirklich, wirklich nicht zu Russland oder der russischen Einflusssphäre gehören wollen, und dass sie sich genau dort finden, wenn sie keine Sicherheitsgarantien von anderer Seite aus erhalten. Ein Blick auf die Karte reicht, und die russischen Minderheiten, die in den baltischen Staaten leben, dürften nach der Krim-Annexion nicht gerade für Beruhigung in Riga, Vilnius und Tallin sorgen, egal ob sie seperatistische Absichten verfolgen oder nicht.

Und nur, damit da keine Missverständnisse aufkommen: diese Staaten wollen echt definitiv nicht in die Umarmung des russischen Bären zurück. Genau da werden sie aber unweigerlich landen, wenn sie keine Sicherheitsgarantien des Westens erhalten (was auch erklärt, warum Polen problemlos CIA-Foltergefängnisse, Raketenabwehrschirme "gegen den Iran" und Irakkriege duldet und mitmacht oder die baltischen Staaten den Euro so bereitwillig übernehmen, trotz der wirtschaftlichen Probleme, die daran hängen). Das ist natürlich für den Westen kein Grund, die auch zu geben, besonders, wenn es dem Frieden entgegensteht. Solche Sentimentalität erlaubt man sich in der Außenpolitik sonst auch nicht, und die Idee des Versprechens, die NATO nicht über die Elbe auszuweiten, hatte ja damals schon ihren Grund. Angesichts der Verletztheit der Russen scheinen sie die Garantien des Westens sogar geglaubt zu haben. Vermutlich hat er das in den 1990er Jahren sogar selbst.

Nun gab es in der Zeit der NATO-Expansion einige Stimmen, die vor derselben gewarnt haben. Nicht aus moralischen Gründen, nebenbei bemerkt, sondern mit dem handfesten Argument, dass die damalige Schwäche Russlands nicht ewig anhalten werde. Ein Wiedererstarken Russlands musste einfach irgendwann erfolgen, auch wenn seine Form und der Zeitpunkt unklar war. Das Ergebnis ist jetzt ein Antagonismus gegenüber Russland, das den Sicherheitskordon, der ihm nach dem Zweiten Weltkrieg so wichtig war, verloren hat, was in der russischen Diplomatie sicherlich Urängste weckt. Daher ja auch die aggressive Reaktion in der Ukraine. Die Frage ist nun, wie man auf diese geänderte Situation reagiert. Russland hat zum zweiten Mal über Intervention und Destabilisierung eine NATO-Expansion an seinen Grenzen verhindert (wie 2008 in Georgien), und aktuell scheint niemand mehr wirklich Lust auf eine Wiederholung zu haben. Der Tonfall ist defensiver geworden; es geht jetzt um das "Eindämmen der Expansionslust" Moskaus. Die Wahrnehmung scheint zu sein, dass Russland morgen im Baltikum einmarschieren würde. Mir ist allerdings ehrlich gesagt unklar, ob das eine deutsche Phantasmagorie ist oder ob diese Furcht dort aktuell geteilt wird.

So oder so gibt es eigentlich nur eine Aktion, welche die NATO unternehmen kann, falls sie nicht die anderen beiden Optionen lieber mag (Nichtstun und diplomatische Initivativen), die beide definitiv ihre Vorzüge haben. Und das ist die Stationierung von Tripwire-Troops im Baltikum. Von diesen casus belli auf zwei Beinen gibt es bereits einige wenige, es wäre allerdings durchaus vorstellbar, dass die NATO eine Sicherheitstruppe von einigen tausend Mann aus allen Mitgliedsstaaten dort oben stationiert. Immer vorausgesetzt natürlich, dass man das Baltikum tatsächlich militärisch stützen möchte. Die NATO jedenfalls ist gerade in einer dummen Situation, denn was auch immer im Baltikum passiert wird sofort als Testfall für das Bündnis interpretiert werden und setzt, wnen man nicht seinen Bestand aufs Spiel setzen will, harsche Reaktionen voraus. Dies macht die Lage aktuell auch so explosiv und liegt im Herzen des diplomatischen Versagens des gesamten Krisenverlaufs.

Ich muss ehrlich sagen, ich bin völlig darin überfragt, ob das eine gute Idee wäre. Auf der einen Seite befriedigt es als Zurschaustellung militärischer Stärke innenpolitisch die Falken und dürfte die Balten beruhigen. Truppen ohne Abzeichen, die sich mit NATO-Soldaten Gefechte liefern, sind schließlich eine ganz andere Kategorie als in der Ukraine. Auf der anderen Seite wäre ein solcher Zug nicht gerade, was man deeskalierend nennt - woran natürlich die Falken auch keinerlei Interesse haben. Tripwire-Troops haben eine lange Erfolgsgeschichte in Korea, wo sie seit 1953 helfen, unkluge Aktionen Nordkoreas abzuschrecken. Russland ist aber nicht Nordkorea, und Putin ist nicht Kim Il-Sung, Kim Jong Il oder Kim Jong-un.

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