Dienstag, 7. März 2017

Check your privilege

Der US-Präsident ist verpflichtet, dem Kongress Rechenschaft abzulegen. Seit Jahrzehnten hat sich die Norm etabliert, dass dies in einer Rede vor den Kammern geschieht, der "State of the Union"-Rede. Sie ist stets ein Beweihräuchern der eigenen Leistungen bei maximalem Kontrast mit dem Zustand, in dem man das Land aus den Händen der gegnerischen Partei übernahm. Diese antwortet dann in einer vorgefertigten Rede und erklärt, wie schrecklich alles ist und wie viel besser es früher war. Die Rede dieses Jahr war ein groteskes Schauspiel. Nicht so sehr wegen dem, was Donald Trump gesagt hat - er las eine belanglose Rede auf gelangweilte Art vor - sondern wegen der Reaktionen darauf. Die Leitmedien, ob Print oder TV, reagierten geradezu euphorisch. Trump hatte eine Rede gehalten ohne abzuschweifen, jemanden zu beleidigen oder kompletten Humbug zu erzählen. So präsidentiell! So erwachsen! So normal! Wie toll.

Das hielt natürlich nicht einmal 24 Stunden, denn am darauffolgenden Morgen stellte sich heraus, dass Generalstaatsanwalt Jefferson Beauregard III. Sessions bei den Anhörungen im Kongress über seine Kontakte nach Russland gelogen hatte. Die Shitshow der Trump-Regierung geht also genauso weiter wie sie bisher lief: inkompetent, voller Widersprüche und immer mit Volldampf voraus. Aber darum soll es hier und heute überhaupt nicht gehen. Denn die Reaktionen der professionellen Beobachterszene - von CNN zu Fox, vom Wallstreet Journal zur New York Times - zeigen eine Abgehobenheit, eine nicht einmal wahrgenommene Privilegiertheit, die hier im Blog bereits einmal thematisiert worden ist. Trumps Rede aber bietet einen hervorragenden Praxisfall dafür.

Denn während Chris Wallace auf Fox News mit Gravitas erklärt, dass die beeindruckende Leistung Trumps, während einer halbstündigen Rede niemanden zu beleidigen - eine Messlatte, über die mein vierjähriger Sohn mit Regelmäßigkeit zu springen vermag -, ihn nun "zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gemacht" habe, und Expertenpanels auf CNN und Leitartikler in den großen Zeitungen dasselbe verkündeten, gehen die Planungen im West Wing weiter:
  • Trump forderte jüngst die Einrichtung einer Behörde zur Untersuchung von Verbrechen, die von Migranten verübt wurden.
  • Zusätzlich forderte er nun eine weitere Behörde, die Verbrechen von Ausländern gegenüber einheimischen Frauen untersuchen soll.
  • Die Einwanderungsbehörde (ICE) bricht geltendes Recht, reißt Familien auseinander und wird von Trump explizit in die militärische Sphäre gehoben, als würde sie eine Art Guerilla- oder Bürgerkrieg führen ("military operation").
  • Das Justizministerium nimmt sich komplett aus der Sicherung der Minderheitenrechte heraus.
  • Die Regierung beschränkt arbiträr die Einreiserechte von Bürgern muslimischen Hintergrunds. So wurden etwa Khizir Khan, der Trump während des DNC Parteitags wortgewaltig kritisierte, "die Reiseprivilegien gestrichen" - das ist eine Sprache, die man eher im DDR-Beamtenapparat vermutet als im Land of the Brave and the Free.

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt der Marschrichtung dieser Regierung. Gewichtig zu erklären, das fehlerfreie Vortragen einer Rede, die andere ihm geschrieben haben, qualifiziere Trump nun dazu, sich als offizieller Repräsentant der gesamten Bevölkerung zu fühlen, ist nur möglich, wenn man durch das eigene Privileg von diesen Entwicklungen völlig abgehoben ist.

Chris Wallace, Wolf Blitzer, Jake Tapper und wie die immergleichen weiß-männlichen Gesichter heißen, die die Berichterstattung auf sämtlichen großen TV-Kanälen dominieren, haben völlig andere Maßstäbe an eine "Normalisierung" Trumps. Ihre Reaktionen zeigen deutlich, dass die Vorwürfe ihrer Kritiker wahr waren: nicht Rassismus, Sexismus und proto-faschistische Maßnahmen sind ihr Problem. Ihr Problem ist der Stil. Solange Trump salbungsvolle oder doch wenigstens unprovizierende Worte findet, ist ihre Theaterkritik befriedigt. Man frage einmal die Latino-communities in Arizona, ob sie sich durch Trumps fehlerfreien Vortrag einer vorgefertigten Rede sicherer oder akzeptierter fühlen.

Dieser krasse Gegensatz, dieses Ignorieren der Probleme und Themen jeden Bevölkerungsteils der nicht der WASP-Elite angehört, wird noch dadurch verstärkt, dass es jedes Mal aufs Neue passiert. Jedes Mal tut Trump irgendetwas Bösartiges, Illegales, Dummes, und wird kritisiert. Dann redet er wie ein normaler Mensch, und die WASP-Kommentatoren fallen über ihre Füße um Trump für die Selbstverständlichkeit zu loben, einen absoluten Grundbestandteil seines Jobs für 20 Minuten fehlerfrei erfüllt zu haben. Bis zum nächsten Mal. Und es gibt immer, immer, immer ein nächstes Mal. Man darf gespannt sein, ob Tapper, Wallace und Blitzer das in den nächsten vier Jahren irgendwann einmal begreifen.

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