Donnerstag, 13. April 2017

Die Grünen, bundespolitische Pechvögel

Die Grünen sind bei den letzten Bundestagswahlen schon ein bisschen vom Pech verfolgt. 2009 gingen die Proteststimmen gegen die Große Koalition an die FDP (viele) und die LINKE (einige), 2013 wurde die LINKE mit Minimal-Abstand Träger des Trostpreises am Goldenen Band ("Oppositionsführer") und 2017 wurde man vom Schulzzug kalt erwischt. Für all diese Entwicklungen kann die Partei selbst vergleichsweise wenig. So oder so ist ihr Wählerpotenzial nur in guten Zeiten knapp zweistellig und wird sonst wohl am besten mit "8%+X" umschrieben, aber was ihr in der Bundespolitik aktuell völlig abgeht ist eine realistische Machtoption. In der Parteigeschichte ist das nicht gerade ein Novum - zwischen 1983 und 1994 hatte die Partei auch keine, und seit 2005 konsistent ebenfalls nicht - aber seit die Grünen-Führung in der Rot-Grünen Koalition Blut geleckt hat, möchte sie schon echt gerne mal wieder regieren. Also, woran hängt's?

An und für sich ist die Partei ziemlich flexibel, was die Koalitionsoptionen angeht: Rot-Grün, Schwarz-Grün, Rot-Rot-Grün (R2G), Schwarz-Gelb-Grün (Jamaika) und Rot-Gelb-Grün (Ampel) sind für die Grünen allesamt vorstellbar. Die meisten dieser Optionen wurden auch bereits in den Ländern ausprobiert. Die natürlichste dieser Optionen bleibt Rot-Grün. Dass es dazu seit 2005 nicht mehr gekommen ist, war 12 Jahre lang vor allem das Verschulden des größeren Partners, der SPD. Während die Grünen sich in ihrem traditionellen Wählerstimmenanteil bewegten, verlor die SPD rund ein Drittel ihrer Wähler und machte die Koalition zu einer arithmetischen Unmöglichkeit.

Bis 2013 stellte sich die Frage nach einer R2G-Koalition gar nicht, weil die SPD und LINKE als Partner völlig undenkbar waren - das ersparte den Grünen eine detaillierte Auseinandersetzung mit der LINKEn, hatte aber den Nachteil, dass sie immer als natürlicher Partner in diese Koalition hineingerechnet werden, was es der CDU/CSU erlaubt, die tendenziell abwanderwillige eigene Klientel von den Grünen abzuschrecken. Die große Ausnahme von der Regel ist, natürlich, Baden-Württemberg. Hier gibt es keine LINKE, die in irgendeiner Art und Weise an der Regierung beteiligt werden könnte, und die BW-Grünen sind effektiv eine CDU mit grünem Anstrich. Wenn Merkel Schwäbin wäre, wäre sie Grüne.

Die Ampel-Koalition stellte sich als Option nicht, weil die FDP sich einseitig auf Schwarz-Gelb festgelegt hatte und sowohl gegen SPD als auch Grüne austeilte - eine Strategie, die 2009 hervorragend und 2013 überhaupt nicht funktionierte. Gleiches galt stets für Jamaika (mit Ausnahme des Saarlands, aber der Erfolg hier ist auch eher dürftig).

Somit blieb den Gründen auf Bundesebene eigentlich nur eine halbwegs realistische Machtoption, Schwarz-Grün. Solange die FDP genügend Stimmen bereitstellen konnte war diese der natürliche Partner, aber mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 waren die Grünen neben der SPD plötzlich der einzige Partner für die CDU, der überhaupt in Betracht kam. Das baden-württembergische Pilotprojekt schien da ebenfalls zu passen, und angesichts der SPD-Umfragezahlen und letzten beiden Bundestagswahlen schien Rot-Grün ohnehin auszuscheiden.

In just dem Moment also, in dem die Grünen sich als Spitze die wohl konservativsten Figuren gaben, die vorstellbar waren (Göring-Eckardt und Özdemir), änderte Martin Schulz quasi um Alleingang die Diskussion und belebte die SPD wieder, die zumindest in Umfragen an das Ende der Schröder-Zeit heranreicht. Schulz ist außerdem der erste SPD-Kandidat, der glaubhaft die LINKE einbinden könnte, die zudem keinen Gysi oder Lafontaine mehr an der Spitze hat. Ideale Bedingungen hier, miserable im grünen Lager. Das ist eine Entwicklung, die niemand vorhersehen konnte und vorhergesehen hat - schlichtweg Pech.

Auch 2013 war das vergleichsweise schlechte Abschneiden der Grünen Pech gewesen. Nach vier desaströs-atrophierten Jahren unter Schwarz-Gelb schien die Gelegenheit günstig, den Bedarf nach einer Alternative zu bedienen. Die SPD schlingerte unter Peer Steinbrück sinnlos durch die Gegend, und die LINKE fand zog ihr übliches Ding durch, was angesichts der ausgebliebenen Katastrophe und vielbeschworenen sozialen Unruhen unter Schwarz-Gelb eher ermattet klang als mobilisieren konnte. Die Grünen beanspruchten aggressiv die Führerschaft im linken Lager, indem sie etwa Steuererhöhungen für Millionäre forderten - nichts, was ihnen die bürgerliche Klientel zutreiben würde, aber die interessierte sich für die Bundesgrünen ohnehin nur sehr eingeschränkt. Das Pech der Partei in diesem Jahr war, dass die Springerpresse im Sommerloch eine obskure Forderung aus den hintersten Seiten des Programmwälzers hervorzog und wochenlang die Schlagzeilen bestimmen ließ. Der "Veggie-Day" passte hervorragend ins Narrativ und erinnerte jeden daran, was man eigentlich an den Grünen instinktiv nicht mochte, diese Verkörperung des eigenen schlechten Gewissens. Dagegen anzukommen ist praktisch aussichtslos - und dass ein so obskures Thema zum Wahlkampfhit werden würde, war ebenfalls kaum vorherzusehen.

Was also fehlt der Partei, um im Bund oder in den Ländern besser voranzukommen? Das Hauptproblem scheint mir das Fehlen einer breiten Wählergruppe zu sein, die sich mit den Themen der Grünen identifiziert. Rein programmatisch ähneln sie stark den amerikanischen Democrats: Positionen wie LGTB-Rechte, Unisex-Toiletten, Klimaschutz und Frauenrechte sind im Parteiprogramm dominant; wirtschaftlich regiert eine Bejahung des Kapitalismus bei gleichzeitig progressiv besteuerndem und aktiv regulierendem Staat. Aber wie die Democrats mit dem Thema Unisextoiletten den schon sicher republikanisch geglaubten Gouverneurswahlkampf in North Carolina gewannen, müssen die Grünen selbstkritisch einsehen, dass diese Themen "nicht der heiße Scheiß der BRD" sind (Zitat Göring-Eckardt).

Und hier liegt der Hase im Pfeffer begraben. Was die Grünen brauchen ist eine klare, überzeugte Klientel. Die Versuche, sich als Volkspartei auszuweiten, sind vorerst gescheitert (sieht man einmal von Baden-Württemberg ab, aber die LINKE in Thüringen ist für den Bund auch kaum exemplarisch). Was daher nötig scheint ist eine Mobilisierung einer Kernwählerschaft. Und dafür braucht es eine stärkere Identifizierung mit den eigenen Themen, statt diese als Anhängsel einer schwarz-grünen Machtperspektive zu begreifen.

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