Sonntag, 24. September 2017

Bundestagswahl: Erste Reaktionen

Die Prognosen sind noch keine zweieinhalb Stunden alt, von daher nehmt bitte alle folgenden Gedanken als rein vorläufige Reaktionen ohne größere analytische Tiefe. Das folgt sicher in den nächsten Tagen auch von den Blog-Kollegen. Mit dieser kurzen Vorrede, ab in medias res.

Wenig überraschend kommt zuvordererst das Ergebnis der AfD. 13,5%, mehr als jeder siebte Deutsche, hat den Neonazis seine Stimme gegeben. Das stimmt tieftraurig, aber es ist auf der anderen Seite auch nicht der Untergang der Welt. Durch die SPD-Entscheidung, in die Opposition zu gehen, werden sie nicht Oppositionsführer und können im Bundestag weniger prozeduralen Unsinn machen als ihnen bei einer weiteren Großen Koalition möglich gewesen wäre. Die Wirkung der großen Fascho-Töne, die sie jetzt spucken ("Wir werden Merkel jagen") hängt massiv mit davon ab, ob die Medien ihnen weiterhin die Plattform geben, die sie in den letzten zwei Monaten so bereitwillig freigaben. Die AfD blieb immerhin deutlich unter dem prognostizierten Potenzial von 15% und erhielt stattdessen ziemlich exakt das von den Umfrageinstituten vorhergesagte Ergebnis um 13%.

Auch der tiefe Fall der SPD wurde durch die Umfragen bereits vorweggenommen, auch wenn Hoffnung auf wenigstens 21-22% bestanden hatte. Wie in Hintergrundgesprächen bereits vor der Wahl verlautet worden war, würde die SPD bei einem solchen Ergebnis in die Opposition gehen - was sie nun wohl auch tut. Ich bin grundsätzlich skeptisch gegenüber einer natürlich heilsamen Wirkung der Opposition, aber zu diesem Zeitpunkt wird es ihnen wohl auch nicht mehr schaden. Die schnelle Ankündigung Schwesigs noch vor Schulz und Oppermann kann als aggressive Bewerbung verstanden werden. Nach diesem Wahlkampf dürfte Schulz zumindest starken Druck verspüren. Die komplette Wahlkampfstrategie der SPD dieses Jahr war ein totales Desaster, das Ergebnis daher auch nicht sonderlich überraschend. Bedauerlich ist es trotzdem.

Überraschend tief - wenngleich von manchen Umfrageinstituten ebenfalls vorhergesagt - ist der Fall der Union. Dass diese ihr Ergebnis von 2013 nicht würden halten können war abzusehen, aber das schlechteste Ergebnis seit 1949 ist dann doch eine neue Hausnummer. Der Fall der CDU ist denn auch der interessanteste am Wahlabend soweit. Sie hat massive Verluste im Osten zu verzeichnen (dazu gleich mehr), aber die größte Überraschung des Abends - und auch die unvorhergesehenste - ist der Absturz der CSU. Die Partei hat 11 Prozentpunkte eingebüßt! Ähnlich sieht die Situation in Sachsen aus, wo die CDU sogar fast 13 Prozentpunkte verloren hat. Dass das in der aktuellen Berichterstattung praktisch nicht vorkommt ist für mich abenteuerlich.

Die Sachsen-CDU ist der mit Abstand rechteste Landesverband der CDU, und die CSU ist auch deutlich rechts von der CDU positioniert. Genau die beiden haben am meisten verloren, und Seehofer redet davon, man müsse sich deutlicher rechts positionieren! Der Mann hat doch den Schuss nicht gehört. Die Idee, man könne Rechtspopulismus begegnen, indem man ihm hinterher rennt, ist irrsinnig. Es ist durch zig Studien widerlegt, und wer einen Beweis braucht sehe sich doch nur mal die SPD an. Die hat sich seit 2009 deutlich nach links geschoben. Und was hat es ihr gebracht? Die beiden rechtesten Landesorganisationen der Union haben die mit Abstand höchsten Verluste erlitten.

In dieses Bild passt auch das überraschend starke Abschneiden der Grünen, die in den Umfragen eher bei 8% rangierten und nun an den 10% kratzen. Genauso wie die FDP und die LINKE profitierten sie von der Müdigkeit mit der Großen Koalition. Genauere Analysen zu diesen drei kleinen Parteien bräuchten mehr Daten über die Wählerwanderungen, und die liegen mir noch nicht vor. Die FDP bekommt in jedem Falle die Belohnung für den mit Abstand besten Wahlkampf, und das verdient.

Ostdeutschland als Gesamtregion bietet ein erschreckendes Bild. Die AfD ist zweistärkste Partei dicht hinter der CDU, dann folgt die LINKE. Wie mit solchen Verteilungen überhaupt noch Regierungen gebildet werden sollen ist unklar. Der Schandfleck des hohen AfD-Ergebnisses lastet daher umso stärker auf den neuen Bundesländern.

Das Ergebnis der Wahl lässt nur noch drei Optionen:

  1. Jamaika. So wie es aktuell aussieht, wird es wohl das erste Dreierbündnis seit 1957 werden. Es ist ein spannendes Experiment, aber ich sehe es mit Bauchschmerzen. So erhöht es Wolfgang Schäubles Chancen deutlich, Finanzminister zu bleiben, und kein einzelner Politiker richtet seit Jahren so viel Schaden an wie er. Zudem dürfte es den Grünen sehr schwer fallen, die Rolle der SPD in der Domestizierung der Merkel-CDU gegen eine sich rechts gerierende CSU und eine vor Selbstbewusstsein strotzende FDP zu geben.
  2. Minderheitenregierung der CDU. Mehr als unwahrscheinlich, aber technisch mit wechselnden Duldungen von SPD, FDP und Grünen vorstellbar. Kann mir aber nicht vorstellen, dass Merkel das machen würde. Viele Nachteile, praktisch keine Vorteile.
  3. Neuwahlen. Das hilft niemandem außer der AfD wirklich weiter, weswegen sich FDP und Grüne wohl zusammenraufen müssen.
Die Entscheidung der SPD, in die Opposition zu gehen, sorgt immerhin für eine starke klar demokratische Oppositionsführung. Wenn sie sich cleverer anstellt als bisher kann sie diese Position in der Profilierung gegen die AfD nutzen. Diese wird maximalen Krach, Konfusion und Chaos verbreiten wollen, wie das Nazis immer tun, wenn sie in Parlamente kommen. Das könnte, wie ich bereits vor einiger Zeit darlegte, für die SPD eine Chance darstellen, weil sie außerhalb der Regierungsverantwortung wenig Beißhemmungen zeigen müssen. Hier könnte auch noch eine Rolle für Martin Schulz liegen, wenn er tatsächlich SPD-Chef bleiben will und kann.

Mehr habe ich für heute abend nicht. Mehr folgt wohl in den nächsten Tagen, auch von den Kollegen.  

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