Sonntag, 8. Oktober 2017

Trump, Weinstein und die Akzeptanz sexueller Belästigung

I better use some Tic Tacs just in case I start kissing her. You know, I’m automatically attracted to beautiful — I just start kissing them. It’s like a magnet. Just kiss. I don’t even wait. And when you’re a star, they let you do it. You can do anything. Grab 'em by the pussy. You can do anything.
 - Donald Trump
Für diejenigen, die gnädigerweise die Access-Hollywood-Kontroverse vom Oktober 2016 vergessen haben, sollte das obige Zitat eine kurze Erinnerung mit sich bringen. Die Nation debattierte damals darüber, ob jemand, der auf Band aufgenommen sexuelle Übergriffe (die strafbar sind) zugibt, eigentlich Präsident werden solle. Nach einigem Hin und Her entschied die Nation, dass dieses ganze Gerede von Rechten für Frauen und Minderheiten sie ziemlich ankäste und beantwortete mit einem knappen Ja. Aber ein mutmaßlicher Vergewaltiger im Weißen Haus ist natürlich auch nichts gegenüber einem mutmaßlichen schwarzen Sozialisten, so dass hier keine Notwendigkeit zur Sorge besteht. Nachdem in kurzer Reihenfolge sowohl Bill O'Reilly als auch Roger Aisles ihre Jobs bei FOX News wegen mehrfacher sexueller Übergriffe auf Angestellte und anderweitig von ihnen Abhängige aufgeben mussten (selbstverständlich mit Millionenabfindungen), was im Sexualstrafrecht ein großes "No-No" darstellt, kam nun ans Tageslicht, dass Harvey Weinstein, ein berühmter Filmproduzent, ebenfalls seine Angestellten sexuell belästigte. Im Gegensatz zu Trump, O'Reilly und Aisles gibt es aber einen gewaltigen Unterschied: Weinstein ist ein langjähriger und verlässlicher Großspender der Democrats.

Für die Republicans, für die weder Konsistenz, Anstand, Moral noch Ironie jemals ein Thema waren, präsentierte das eine gigantische Gelegenheit. Von Hillary Clinton über Obama zu allen aktuellen Politikern der Democrats wurde jeder aufgefordert, Farbe zu bekennen und am besten sofort zurückzutreten/in der Versenkung zu verschwinden. Wie können es die Democrats schließlich wagen, so gegen feministische Grundsätze zu verstoßen? Trump, komplett ironiebfreit, erklärte, ihn wundere das bei Weinstein überhaupt nicht (takes one to know one). Man muss das Schauspieltalent dieser Riege bewundern, solche Doppelstandards kriegt hierzulande allenfalls die CSU hin. Aber die Frage ist natürlich berechtigt: wie können die Democrats so jemanden als einen der ihren tolerieren? Wo bleibt die wütende Reaktion der Hollywood-Elite?

Nun, alle Democrats distanzierten sich entschieden von Weinstein, ebenso der größte Teil der kulturellen Elite (die, die es nicht taten, befanden sich in Abhängigkeitsverhältnissen von Weinstein beziehungsweise sind durch Verträge zu Stillschweigen verpflichtet). Niemand auf MSNBC rechtfertigte Weinsteins Sexualstraftaten als "locker room talk", wie es die Rechten seit Oktober 2016 für Trump beharrlich tun. Niemand greift Weinsteins Opfer an und versucht, ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben oder versucht so zu tun, als sei der Täter ein von karrie- und geldgeilen femme fatales verführtes Opfer. Und tatsächlich gibt es, in den Worten Nate Silvers, zwischen Trump und Weinstein nur einen einzigen Unterschied: einer von beiden wurde von seiner Partei zum Präsidentschaftskandidat gemacht.

Aber damit genug vom parteitaktischen Hickhack. Die völlige moralische Abdankung der republikanischen Partei war hier ja bereits ausführlich Thema. Man muss auch nicht den Fokus auf den USA behalten oder nur bei Rechten schauen; Dominique Strauß-Kahn etwa brachte zu seiner eigenen Verteidigung auch an, dass Frauen ihm gerne sexuell zu Diensten stünden, weil er über so große Machtmittel verfügte. Stattdessen möchte ich lieber die Frage stellen: woher kommt es, dass so viele Millionäre und Milliardäre im Alter 60+ auf immer die gleiche Weise und völlig bar jeglicher Schuldgefühle Frauen sexuell belästigen oder, wie etwa in Bill Cosbys Fall, vergewaltigen?

Man könnte hier zuerst ketzerisch die Frage stellen, ob es etwa nicht gut für die charakterliche Entwicklung ist, jemandem alle Privilegien dieser Welt, schier unbegrenzte Geldmittel und totale Macht über die wirtschaftliche Existenz hunderter, wenn nicht tausender Personen zu geben. Wenn um einen herum ohnehin nur noch bezahlte Speichellecker sind, jeder Wunsch sofort Befehl ist und keine Regeln zu gelten scheinen nimmt man schnell an, dass die Regeln tatsächlich nicht gelten und dass man tatsächlich so unwiderstehlich ist, wie man das von sich glaubt.

Der zweite Faktor wurde interessanterweise von Weinstein selbst zu seiner Verteidigung vorgebracht: er sei halt in einer Zeit aufgewachsen, in der solches Verhalten normal war. Dass dieses durchaus zutreffende Statement so wenig beachtet wird, ist eine Schande in sich selbst. Es ist auch falsch: denn Fälle wie der von Brock Turner zeigen, dass diese Verhaltensweisen zumindest in bestimmten Milieus immer noch an der Tagesordnung sind. Man muss nicht lange googeln um Geschichten aus den 2000er und 2010er Jahren zu finden, in denen junge aufstrebende Investmentbanker und Unternehmensberater die Stripklubs und Bordelle der Finanzzentren unsicher machen. Ganze Milieus sind bis zum Hals im Morast der toxischen Maskulinität versunken, wo Frauen hauptsächlich als Objekte vorkommen und Sexualität stets zu haben ist, ja, worauf von Seiten dieser masters of the universe geradezu ein Anspruch besteht.

Und genau das ist der Kern der Angelegenheit. Weder Trump, noch O'Reilly, noch Strauß-Kahn, noch Cosby, noch Weinstein sind in irgendeiner Art und Weise bedauerliche Einzelfälle. Sie hatten nur das Pech aufzufliegen. Die Dunkelziffer ist ungemein viel höher, und das völlige schiefe Machtgleichgewicht zwischen Tätern und Opfern und der Umgang der Gesellschaft mit letzteren sorgen dafür, dass dies auch noch länger so bleiben wird. Solange das nicht als ein Problem gilt, sondern stattdessen das Händeringen immer nur über den einzelnen alten Mann geht, der mit zu viel Geld und zu wenig Charakterstärke von ihm abhängigen jungen Frauen nachstellt, wird sich das auch nie ändern. Aber da der Diskurs gern von jenen bestimmt wird, für die diese Auseinandersetzung allenfalls akademisch ist, wird das wohl bedauerlicherweise weiterhin in das weite Feld der bösen, bösen "identity politics" gestellt, die ja immer nur die anderen machen, aber nie man selbst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.