Montag, 22. Januar 2018

Wer hat nun gewonnen?

Der Shutdown ist vorbei. Die US-Regierung wird weiter finanziert, zumindest die nächsten drei Wochen. Viel Lärm um nichts also? Wer hat denn nun gewonnen? Nach rund 60 Stunden endete heute der Shutdown, als fast 80 Senatoren für eine Aufhebung des filibuster stimmten. Bis zum 8. Febuar ist die Regierung nun wieder finanziert. Im Gegenzug wurde CHIP, ein Programm zur Gesundheitsversicherung für neun Millionen arme amerikanische Kinder, für die nächsten sechs Jahre finanziert und Mitch McConnell versprach hoch und heilig, eine Abstimmung über DACA zuzulassen (die die Republicans natürlich gewinnen oder schlimmestenfalls durch Trump vetoen können). Das Netz ist voll von widersprüchlichen Einschätzungen. Progressive Aktivisten sind entsetzt über den Verrat ihrer Partei, wie es progressive Aktivisten immer sind, Parteigänger der Democrats und Republicans erklären den jeweiligen Sieg ihrer Partei, und auch die Meinungen der Experten sind gespalten. Ich will kurz beide Narrative erläutern, ehe ich meine eigene Einschätzung darlege.

Was für einen Erfolg der Democrats spricht
Beobachter, die von einem leichten Vorteil der Democrats ausgehen (niemand außer direkten Parteigängern erklärt das zu einem gewaltigen Sieg) streichen vor allem heraus, dass die Partei mit CHIP ein Thema vom Tisch nehmen konnte, das die Republicans später als Waffe eingesetzt haben könnten. Sie haben zudem praktisch keinen Grund preisgegeben, weil in drei Wochen erneut über einen Haushalt abgestimmt werden muss - wo die Democrats dasselbe Spiel wiederholen können und einen sauberen Kampf nur um DACA führen können.

Was für einen Erfolg der Republicans spricht
Beobachter, die von einem Vorteil für die Republicans ausgehen, sehen vor allem die offensichtliche Niederlage der Democrats bei DACA. Der Deal den sie mit McConnell geschlossen haben enthält keinerlei Zugeständnisse außer dem Versprechen auf eine Abstimmung; ein solches Versprechen hat er aber bereits einmal abgegeben und gebrochen. Generell ist McConnells Wort keinen müden Kreuzer wert. Auf der anderen Seite stehen die Democrats als schwach da, haben ihre Basis verraten und erlauben es den Republicans, sie als Beschützer undokumentierter Einwanderer darzustellen, weil der nächste Shut-Down-Fight nur noch zum Thema DACA sein wird.

Meine Meinung
Ich tue mich schwer damit, das Ganze ordentlich einzuschätzen. Zum einen kenne ich mich zwar gut in der US-Politik aus, aber so gut, dass ich die parlamentarischen Winkelzüge des US-Senats mit seinem arkanen Regelwerk durchschauen könnte auch wieder nicht. Und was wir hier sehen ist klassische politics, wie der Wähler sie hasst: ein Schaulaufen und Positionieren der Parteien, die das Wohl und Wehe der Bürger für winzige Vorteile aufs Spiel setzen. Ich sehe daher die Gesundheit der Demokratie insgesamt als einen kleinen Verlierer des Shutdowns, weil er in das populäre zynische Narrativ läuft, dass "die da oben" eh nur alle lügen und auf den eigenen Vorteil aus sind. Dieser negative Effekt für das System insgesamt ist natürlich bei jeder parteilichen Auseinandersetzung dabei, und seine Delegitimierung durch den Wähler gehört zu den Grundparadoxien der Demokratie. Trotzdem ist es kein gutes Zeichen, dass die Demokratieverächter aller Orten sich wieder einmal bestätigt sehen können.

Auf der anderen Seite ist der Shutdown absurderweise ziemlich bedeutungslos, wenn man das Große Ganze(tm) betrachtet, was für jemanden, der gerade 26.000 Zeichen in einem Riesenartikel darüber geschrieben hat, vielleicht eine erstaunliche Erkenntnis ist. Aber ich sagte in meinem Artikel bereits dass der Shutdown für mich eher als Symptom denn als Ereignis selbst relevant ist und habe in den Kommentaren bezweifelt, dass er auf die kommenden Wahlen einen signifikanten Effekt haben wird. Dasselbe galt auch für die letzten beiden Shutdowns. Obwohl sowohl 1995 als auch 2013 die Republicans den Shutdown inszenierten und die Democrats, genauso wie jetzt, den public relations war überragend gewannen, spielte dies bei den jeweils folgenden Wahlen keine Rolle. Shutdowns sind aufgeregte, spannende Ereignisse nur für political junkies wie mich, den Durchschnittswähler interessieren sie kaum, so er überhaupt von ihnen Wind bekommt (dieser Shutdown spielte sich fast ausschließlich am Wochenende ab; wer keine Nachrichten sah wird ihn nicht gespürt haben).

Nach Voranstellung dieses Caveats gleich die Qualifizierung: natürlich steigt die Gefahr, dass die Wähler den Shutdown spüren und nach einem Verantwortlichen suchen, je länger die Chose dauert. Auf den Parteien lastet daher ein relativ großer Druck, das Ganze zu beenden, und das Argus-Auge der politischen Presse, die ohnehin jede Auseinandersetzung (wie wir hier auch) als Sieg-oder-Niederlage-Narrativ verkaufen will (muss), schläft ja auch niemals. Das erklärt, warum die Beteiligten das Ganze trotzdem als eine Situation mit hohem Einsatz und hohem Druck sehen. Was also kam nun heraus?

1) Zuerst einmal konnten die Democrats erreichen, dass CHIP - das die Republicans genauso wie DACA als Unterpfand in den Verhandlungen hielten - aufgeben mussten. Egal, wie man den Erfolg für die Parteipolitik bewertet (dazu gleich mehr), dass neun Millionen Kinder weiterhin eine Krankenversicherung haben ist ein klarer Sieg der Guten, und die Finanzierung steht zudem für sechs Jahre. Im Gegenzug bekamen die Republicans...drei Wochen ohne Shutdown.

Nun weisen viele Kritiker des Deals nicht zu Unrecht darauf hin, dass die Democrats mit dem Ziel in die Verhandlungen gegangen waren, DACA zu retten - und davon ist nichts zu sehen. Besonders die progressiven Aktivisten fühlen sich verraten. Zudem sind die Republicans ja auch ganz froh darüber, dass das CHIP-Thema ausgestanden ist. Man hat Geiseln schließlich, um sie gegen etwas zu tauschen. Und da das Ziel DACA nicht erreicht wurde, können die Republicans nun den Sieg erklären und sich über die Totalkapitulation der Democrats lustig machen. Beide Seiten sind zudem davon überzeugt, dass das Lösen der CHIP-Situation ihnen hilft, weil es den nächsten Streit auf DACA konzentriert. Und damit sind wir bei

2) DACA. Hier wird die Situation sehr unübersichtlich. Denn beide Seiten sind der Überzeugung, dass der aktuelle Deal ihnen helfen wird. Beide können aber nicht recht haben. Der aktuelle Stand ist, dass McConnell eine Abstimmung im Senat zulassen wird. Was auch immer das Ergebnis davon sein wird (wahrscheinlich eine Abstimmung), der Ball würde dann ins Repräsentantenhaus und von dort ins Weiße Haus gespielt werden. Auf diesem Wege wird keine Reform zustandekommen. Zudem erwarten viele Beobachter, dass McConnell sein Wort brechen und diese Abstimmung nicht ansetzen wird, was wiederum als Sieg mal für die eine, mal für die andere Seite gewertet wird.

Dieses Netzwerk ist schwierig zu entwirren und hängt effektiv davon ab, ob man davon ausgeht, dass ein Kampf um die Rechte der Dreamers für die Democrats ein Gewinnerthema ist. Und ich muss offen gestehen, ich habe keine Ahnung, ob das der Fall ist. Fakt ist, dass grundsätzlich beide Seiten an einem Kompromiss interessiert sind und die Frage auf der policy-Ebene ist, was die Republicans aus einem Deal herausholen könnten. In der letzten Zeit fiel öfter die Idee, dass die Democrats Trumps dämliche Mauer finanzieren und eine Verschärfung der Einwanderungsregeln mittragen könnten, wenn dafür DACA gesetzlichen Status erhält. Diese Frage besitzt eine gewisse Dringlichkeit, schon alleine, weil die Abschiebebehörde ICE sich unter Trump rapide zu einer gewalttätigen Schläger-Behörde gewandelt hat und mittlerweile gezielt DACA-Aktivisten interniert, misshandelt und abschiebt.

Doch es geht natürlich nicht nur um policy, sonst wäre der Kompromiss der Gang of Eight 2012 ja bereits erfolgreich gewesen. Da die Republicans in den letzten Jahren eine hier im Blog erschöpfend analysierte Radikalisierung durchmachten, sind sie nun mit einer Basis "gesegnet", die jeden Kompromiss auf diesem Gebiet als Verrat betrachtet (ganz ähnlich den aktuell Zeter und Mordio schreienden Basis-Democrats) und dazu die notwendige Finanzierung und Wirkmacht besitzt, um republikanische Amtsträger in primaries zu gefährden. Daran scheiterte ja bereits die Gang of Eight, und die Republicans sind seitdem nicht eben rationaler geworden, während die Basis der Democrats mit deutlich mehr Nachdruck als bisher liberalere Einwanderungsgesetze fordert. Der Handlungsdruck ist da, aber die Abgeordneten haben von unten einen beeindruckenden Gegendruck entwickelt, der jede Reform erschwert.

Erschwerend kommt bei all dem dazu, dass das Weiße Haus von einer so erratischen Figur wie Trump beherrscht wird. Selbst wenn Democrats und Republicans einen großen Kompromiss zum Thema Immigration schließen würden wäre unklar, ob Trump das Ding nicht am Ende torpediert, weil der Koch am Morgen seinen Lieblings-Cheeseburger versaut hat. Das erhöht das Risiko für Republicans noch einmal: erst stellen sie sich dem Zorn der Basis, und nachher war alles umsonst, und Trump inszeniert sich auf ihre Kosten als Verteidiger des Wahren Amerika(tm). Das ist nicht gerade ein geringes Risiko, und zieht noch nicht einmal in Betracht, dass ein republikanischer Abgeordneter sich auch nicht gerade auf Paul Ryan oder Mitch McConnell verlassen sollte, die beide im letzten Jahr mehrfach sang- und klanglos Projekte haben fallen und ihre Kollegen im Regen stehen lassen.

Wer hat also den Shutdown gewonnen? Schwer zu sagen im Moment. Ich tendiere dazu, den Democrats einen leichten Vorteil zu geben, allein weil sie mit CHIP etwas Substanzielles erreicht haben und weil ich den grenzenlosen Optimismus habe, dass die Wähler in der Wahl zwischen noch mehr rassistischem Hass und Xenophobie oder Integration und Gemeinschaft 2018 nach letzterer ausschlagen werden. Aber gewiss ist davon gar nichts.  Es ist eine dieser Situationen, in denen man springen muss um zu sehen, was geschieht. Die Argumente beider Seiten, warum die Konzentration auf DACA als Hauptthema der Democrats im Frühjahr 2018 ein Gewinn oder Verlust sein könnte, sind nicht von der Hand zu weisen. Es gibt Indizien, die in beide Richtungen weisen. Letztlich ist es für beide Parteien ein Sprung ins Dunkle.

Samstag, 20. Januar 2018

Der Shutdown der US-Regierung 2018, erklärt (Teil 2)

Im ersten Teil dieses Artikels haben wir die institutionellen Grundbedingungen für den Shutdown untersucht, die in der Strategie der Republicans begründet liegen, demokratische Normen außer Kraft zu setzen und über das Instrument des budget reconciliation process zwei riesige Gesetzesvorhaben umzusetzen: die Abschaffung von Obamacare und eine groß angelegte Steuersenkung für Reiche. Das erste dieser Vorhaben scheiterte im Frühjahr 2017. Die Republicans machten sich danach daran, ihren Steuerraubzug durchzuführen.

Auch bei ihrem zweiten Versuch planten die Republicans, den budget reconciliation process zu nutzen und damit ohne jede Stimme der Democrats auszukommen. Diese einseitige Kompromisslosigkeit erforderte erneut den budget reconciliation process - und ein aufkommensneutrales Gesetz. Das allerdings war ein Problem. Da die Republicans die Steuern einseitig senken wollten, war eine aufkommensneutrale Reform - die das Defizit für maximal zehn Jahre steigern darf - praktisch unmöglich. Da die Republicans dieses Problem unter George W. Bush schon einmal auf diese Art umgangen hatten, so dass die Steuersenkungen für Millionäre nach zehn Jahren automatisch ausliefen (und unter Obama auch nicht verlängert wurden), wollte Paul Ryan - Kreuzritter für möglichst niedrige Steuern und möglichst wenig Staatsaktivität - erreichen, dass die Kürzungen dieses Mal permanent sind.

Dazu jedoch war es eben nötig, dass man die Billionen an geplanten Senkungen für Reiche und Unternehmen des eigenen Stammes irgendwie zumindest nominal gegenfinanziert - was gigantische Haushaltskürzungen erfordert. Wie bereits beim Obamacare-Repeal zeigte sich, dass die Republicans keinen fertigen Plan in der Schublade hatten. So begannen sie im Sommer 2017 mit der heißen Nadel an einem zu stricken. Die internen Widersprüche in der Partei, die beim Obamacare-Debakel zutage getreten waren, zeigten sich auch dieses Mal. Sie waren allerdings bei weitem nicht so stark, denn dieses Mal ging es um die conditia sine qua non der gesamten republikanischen Existenz seit 1994: Steuersenkungen.

Da diese den ideologischen Kernbestand der Partei ausmachten, war kaum zu erwarten, dass die Unternehmung ernsthafte parteiinterne Opposition bekommen würde. Tatsächlich erwies sich der Widerstand einzelner Abgeordneter wie Susan Collins oder Marco Rubio auch schnell als reines Schaulaufen, das nach einem Nachrichtenzyklus ausgestanden war. Die interne Politik der Republicans war daher nicht das größte Hindernis. Das CBO dagegen umso mehr.

Um dieses Problem zu umgehen, verfielen die Republicans auf die brillante Idee, der Behörde den jeweiligen Gesetzesentwurf einfach nicht rechtzeitig zur Verfügung zu stellen, um eine Analyse erstellen zu können. Die republikanischen Abgeordneten würden daher über eine wahre Black Box abstimmen: es war völlig unklar, was in dem Gesetzwerk konkret stehen würde. Die CBO wuchs über sich selbst hinaus und veröffentlichte in Rekordzeit Analysen (die tapferen Analysten schoben wohl mehrere Nachtschichten), was die Republicans durch das Ändern der Entwürfe in letzter Sekunde konterten.

Der finale Entwurf des Gesetzes bedurfte dann eines finalen Tricks, um formal den gesetzlichen Ansprüchen zu genügen: die Steuersenkungen für die Mittelschicht würden in zehn Jahren auslaufen, während die für Millionäre und von den Republicans gepamperten Unternehmen permanent waren. Zudem hoben die Republicans das Kernstück Obamacares auf: das individual mandate, das Krankenversicherung für jeden verpflichtend macht. Rechnerisch entstehen durch die wegfallenden Subventionszahlungen an arme Krankenversicherungsnehmer daher Ausgabenkürzungen, so dass das Gesetz mit Hängen und Würgen akzeptabel war. Auf dem Pfad der Zerstörung blieben nur einige weitere demokratische Normen zurück, was die Republicans aber bekanntlich wenig stört.

Es lohnt sich an dieser Stelle kurz zu verweilen, denn der Steuerraubzug ist auf den ersten Blick ein merkwürdiges Gesetz. Von Beginn der Verhandlungen an war es selbst bei Anhängern der GOP ungeheuer unbeliebt: In der gesamten Gesellschaft erreichte das Gesetz gerade einmal 18% Zustimmung, was es zu einem der unpopulärsten Gesetze aller Zeiten machte. Selbst das ungeliebte Obamacare-Gesetzwerk rutschte nie unter 40% Zustimmung und liegt aktuell stabil bei über 50%. Angesichts der dieses Jahr anstehenden Midterm-Elections ist das Gesetz daher ein massiver Mühlstein um den Hals des republikanischen Abgeordneten.

Die Senatoren und Repräsentaten waren auch erstaunlich offen darüber, weshalb sie das Gesetz dennoch durchpeitschten: ihre Geldgeber verlangten es. Aber das ist nicht der einzige Grund. Wie erwähnt waren Steuersenkungen diesen Ausmaßes die raison d'être der Partei. Es war ihr ultimatives Ziel. Darin sind sie vergleichbar mit den Democrats 2009. Es war auch damals offensichtlich, dass Obamacare für die Midterms eine gewaltige Belastung darstellen würde. Verabschiedet wurde es trotzdem, weil die Democrats seit Jahrzehnten die Krankenversicherung für alle einführen wollten. Es war es ihnen wert. Die Reichen reicher zu machen war es den Republicans wert.

Das ist kein Normenbruch, das ist in einer Demokratie normal. Dass nun 65% der republikanischen Wähler das Gesetz ablehnen, das ihre Repräsentanten verabschieden, ist Pech. Die Partei hat kein Geheimnis aus ihren Plänen gemacht, genausowenig wie die Democrats das 2008 taten. Wahlen haben Konsequenzen. Jeder hatte wissen können, was die Republicans tun würden, und wenn man sie aus Unwissenheit trotzdem wählt oder es in Kauf nimmt, kann man sich darüber später nicht beklagen. Dasselbe Prinzip gilt für Politik in jedem demokratischen Land. Das ist die Verantwortung der Wähler, und wer ihr nicht nachkommt, erfüllt seine eigene Pflicht im demokratischen System nicht. Aber darüber hatte ich bereits geschrieben.

Mit der erfolgreichen Verabschiedung des Steuerraubzugs war der zweite Schuss des budget reconciliation process verbraucht. Die nächsten Gesetzeswerke für den Beginn 2018 würden daher den Senat mit einer Mehrheit von 60 Stimmen passieren müssen, wöllte man den filibuster vermeiden. Nötig ist also ein Kompromiss mit wenigstens einigen Democrats (unter denen es, wie sich am eingangs dargestelten Abstimmungsergebnis zeigt, ja Optionen gibt). Und das Themenfeld eines solchen Kompromisses zeigte sich auch überdeutlich auf. Nach Steuersenkungen und Obamacare-Zerstörung war nur ein großes Feld aus dem Wahlkampf 2016 übrig (sieht man einmal von den rechten identity politics ab, aber die sind ja eher ein permanentes work in progress): die Immigrationspolitik.

Wir erinnern uns: Trump trat mit dem Versprechen an, eine Mauer zu bauen. Nur, Mauern kosten Geld, besonders wenn sie eine Grenze von mehreren tausend Kilometer Länge, teils durch Gebirge hindurch, absichern sollen. Dieses Geld stünde nicht für Steuersenkungen zur Verfügung, und das ist, wie oben dargestellt, für die Partei nie ein ernsthafter Kompromiss gewesen. Jede noch so lächerlich kleine Mauerbauerei muss daher zwangsläufig mit demokratischen Stimmen geschehen, weil der budget reconciliation process für das eigentliche republikanische Herzprojekt reserviert war.

Die Democrats waren dem auch gar nicht so abgeneigt, wie man vielleicht vermuten würde. Von Beginn an boten sie den Republicans an, wenigstens ein Teilstück der Mauer zu finanzieren, wenn im Gegenzug endlich die seit 2013 verschleppte Reform des DACA-Prozesses (Deferred Actions for Childhood Arrivals) angegangen würde.

Worum geht es hierbei? Bekanntlich sind mehrere Millionen undokumentierter Einwanderer in den USA. Für deren Erfassung und Abschiebung ist die US-Behörde ICE (Immigrations and Customs Enforcement) zuständig, die unter Trump mehr Personal und, vor allem, eine Absicherung gegenüber den Konsequenzen von Gesetzesbrüchen und Menschenrechtsverletzungen durch ihre Agenten erhalten hat. Das Maximum an Abschiebungen, das die Behörde pro Jahr vollziehen kann, liegt bei rund 100.000. Das hat zur Konsequenz, dass viele undokumentierte Einwanderer teilweise jahrzehntelang in den USA leben, bevor sie plötzlich in die Abschiebemaschinerie geraten, ein Problem, das uns in Deutschland durchaus bekannt vorkommen dürfte.

Obama ging einen Teilaspekt dieses Problems an, indem er einen Evergreen liberaler Einwanderungspolitik umsetzte. Die Idee ist, junge Menschen, die kein anderes Leben als das der USA kennen und vollständig integriert sind, aber undokumentiert sind, einen legalen Status zu geben und einen Pfad zur Staatsbürgerschaft zu öffnen. Es ging dabei konkret um Kinder von Einwanderern, die in jungem Alter nach Amerika kamen - also nicht selbst an ihrem Status Schuld sind - und eine Reihe von Kriterien erfüllen.

Konkret mussten sie vor 2007 und mit maximal 16 Jahren ins Land gekommen sein, durften keine Vorstrafen besitzen und mussten entweder die Highschool oder eine höhere Schulform besuchen oder im Militär dienen oder gedient haben. In diesem Fall konnten sie unter den Regeln von DACA eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, die zwei Jahre gültig war und nach Ablauf erneuert werden konnte. In der Zwischenzeit erlaubte dies den Applikanten, den so genannten "Dreamern", legal eine Arbeitsstelle aufzunehmen, den Führerschein zu machen und Ähnliches. ICE währenddessen konnte seine Kapazitäten auf Fälle krimineller undokumentierter Einwanderer konzentrieren.

Es war eine typische Obama-Reform: gut durchdacht, begrenzt auf einen klaren Bereich, mit Verbesserungen für die Betroffenen und praktisch keinen Kosten für den Rest. Selbstverständlich opponierten die Republicans mit voller Kraft dagegen, so dass DACA von Obama 2012 als Executive Action verabschiedet wurde. Es handelte sich damit um eine Verwaltungsangelegenheit, kein Gesetz - und konnte vom nächsten Präsidenten einfach wieder aufgehoben werden.

Als die Republicans 2012 die Wahl verloren und Obama seine zweite Amtszeit gewann, schrieben Strategen der GOP den berühmten Obduktionsbericht, indem sie feststellten, dass die Republicans zu einer Partei der Minderheit verärgerter Weißer geworden war und dringend ihre fremdenfeindliche Politik ändern müsse, wenn sie nicht eine permanente Minderheitenposition einnehmen wolle. Konsequenterweise versuchten einige Senatoren, etwa John McCain und Marco Rubio, zusammen mit ihren demokratischen Kollegen ("Gang of Eight") eine überparteiliche Reform des Einwanderungsrechts auf die Beine zu stellen und das Thema ein für allemal zu regeln, unter anderem, indem DACA in geltendes Recht überführt würde.

Bekanntlich kam es anders. Die Extremisten in der Partei, die 2012 wieder einmal gestärkt worden waren, brachten das Projekt zu Fall. Die Partei konzentrierte sich auf die Mobilisierung der weißen Wut-Wähler und der Entrechtung der Wähler der Democrats (durch Entzug ihres Wahlrechts oder gerrymandering). Die arkanen Regelungen der verschiedenen US-Wahlrechtssysteme brachten ihnen denn auch die Präsidentschaft; eine Minderheitenpartei sind sie geblieben. Und die Dreamers hatten immer noch keine Rechtssicherheit.

Nun gäbe es an und für sich auch wenig Grund, etwas an dem bestehenden System zu ändern. ICE ist ohnehin ausgelastet, ihre Entscheidungen sind erratisch und treffen keinesfalls nur die "very bad people", die Trump anzugehen gedachte. Den rechtlichen Status der Dreamer zu verändern würde daher nur bedeuten, sie in eine Sphäre der Unsicherheit zu werfen - eine Abschiebung ist praktisch überhaupt nicht machbar, außer in den völlig willkürlichen Fällen, in denen ein Dreamer aus irgendwelchen Gründen ins weit gespannte Netz von ICE fällt. Ihnen den DACA-Schutz zu nehmen wäre daher ebenso grausam wie sinnlos.

Kein Wunder also dass Trump und die Republicans sich zu der Idee hingezogen fühlen. Letztere sehen in den Dreamern eine Geisel für die Verhandlungen mit den Democrats: "Gebt uns, was wir wollen, oder wir zerstören die Existenz von 800.000 Menschen!" Es ist ein zynisch-brutales Machtspiel, aber nichts, was man von der Partei nicht gewohnt wäre. Trump dagegen tut es vermutlich aus reiner Lust daran, Menschen weh zu tun, und aus Rache. Unfähig, Beziehungen, Geschäfte und Politik irgendwie anders als in persönlichen Begriffen zu sehen, nutzt er den DACA-Prozess, um sich an der demokratischen Senatorin Feingold zu rächen, die in erstmals (auf Betreiben Trumps!) im Fernsehen übertragenenen Verhandlungen durch ihre bloße, informierte und professionelle Existenz offenkundig machte, was für ein abgeschmackter Kretin im Weißen Haus sitzt. Dabei drohte der Präsident seiner eigenen Partei mit einem Veto!

Die Republicans hatten sich in die Falle manvöriert. Die Democrats boten einen sauberen Haushalt an, wenn DACA vor Trumps Zugriff gesichert würde. Ein solcher Deal würde mit allen demokratischen und einigen wenigen republikanischen Stimmen passieren und damit die Haushaltsverhandlungen der Obama-Ära wieder aufleben lassen, in denen nacheinander Boehner und Ryan unfähig waren, trotz einer Mehrheit im Repräsentantenhaus eine Mehrheit für einen (irgendeinen) Haushaltsentwurf ohne demokratische Stimmen auf die Beine zu stellen. Doch wo Obama die entstehenden Kompromisse natürlich unterzeichnete, drohte Trump mit einem Veto, als ob er der Regierung, die er damit von ihren Finanzierungsquellen abschnitt, nicht angehören würde. Es ist nicht völlig abwegig anzunehmen, dass ihm die Zusammenhänge nicht vollständig klar sind.

In diesem Spannungsfeld lehnte der Mehrheitsführer der Republicans im Senat, Mitch McConnell, einen Gesetzesvorschlag, der sich mit DACA auseinandersetzte, ab. Erwartungsgemäß scheiterte dieser Entwurf mit 51:49 Stimmen gestern im Senat. Die Regierung hat damit kein Geld mehr und muss sämtliche "nicht-essenziellen" Mitarbeiter auf unbezahlten Urlaub schicken und sämtliche "nicht-essenziellen" Tätigkeiten einstellen. Jeder, der irgendwie von funktionierendem Regierungshandeln abhängig ist - sei es, weil er einen Antrag stellen muss, kein Gehalt mehr bezieht oder auf eine Entscheidung wartet - wird die Folgen unmittelbar zu spüren bekommen.

Nach dem letzten Shutdown 2013 knickten die Republicans ein, weil ihnen die Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit die Schuld an dem Zustand zusprach und nichts zu gewinnen war. Die ersten Umfragen ergeben eine 50:20-Mehrheit in der Bevölkerung, die der GOP die Schuld an diesem Shutdown gibt. Angesichts der Tatsache, dass die Republicans alle Arme der Regierung kontrollieren und ihr gesamtes brand mit dem Shutdown assoziiert ist, kann dies nicht überraschen.

Die Democrats halten weiter ihre Hand zu einem DACA-Kompromiss ausgestreckt. Das Angebot ist natürlich eine Giftpille für die Republicans. Akzeptieren sie einen Kompromiss, machen sie sich in den Augen ihrer extremistischen Basis - und ihres extremistischen Präsidenten - zu Verrätern, was angesichts der anstehenden primaries für die Midterms keine angenehme Aussicht ist. Auf der anderen Seite ist das Funktionieren der Regierung aber allein ihre Verantwortung. In diese Sackgasse haben sie sich in nunmehr bald zehn Jahren verantwortungslosen Extremismus' selbst manövriert.

Wie ich schon öfter formuliert habe, ist die Partei grundsätzlich regierungsunfähig. Der Shutdown ist dafür nur ein weiterer Beleg; noch nie gab es einen solchen, wenn die gleiche Partei Weißes Haus und Kongress kontrolliert. Hätten die Republicans nicht letztes Jahr die demokratischen Prozesse umgangen, könnten sie nun den budget reconciliation process für das nutzen, für was er eigentlich da ist, und die Handlungsfähigkeit der Regierung bewahren. Da sie sich entschieden, ihn als Waffe zu nutzen, um ein Minderheitsprogramm durch das Parlament zu prügeln, steht ihnen diese Option nicht mehr offen. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Spuk im November endet.

Der Shutdown der US-Regierung 2018, erklärt (Teil 1)

Vor fünf Jahren schrieb ich einen Erklärartikel zum Shutdown, der unter dem damals noch amtierenden Sprecher des Repräsentantenhaus, John Boehner. Die Vorstellung, dass ein weiterer solcher Artikel notwendig werden würde, weil die Republicans die Regierung ein weiteres Mal herunterfahren würden, während sie sämtliche Zweige derselben Regierung kontrolliere, war noch 2016 reichlich absurd erschienen. Aber sie haben es geschaft: obwohl sie Supreme Court, Weißes Haus, Repräsentantenhaus und Senat kontrollieren ist es ihnen nicht gelungen, auch nur eine continuing resolution zu verabschieden, die die Geldmittel der Regierung bis zum 8. Februar (!) garantiert hätte. Natürlich geben Trump und die Republicans den Democrats die Schuld, während die auf die Mehrheitsverhältnisse zeigen und jede Schuld von sich weisen. Was also ist das los?

Die Abstimmung selbst entschied sich im Senat. Fünf Democrats stimmten mit den Republicans, während vier Republicans gegen ihre eigenen Partei stimmten und John McCain nicht teilnahm, was die Mehrheitsverhältnisse von 51:49 exakt widerspiegelte. Man könnte sich nun fragen, warum 51 Stimmen nicht ausreichen. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Der Grund dafür geht zurück auf den gescheiterten Versuch letztes Jahr, Obamacare abzuschaffen.

Zur Erinnerung: die Republicans hofften, durch einige windige prozedurale Manöver gleich 2017 zwei große Siege einzufahren: die Abschaffung (repeal) von Obamacare und eine nie dagewesene Steuersenkung. Der Obamacare Repeal schlug fehl; öffentlichkeitswirksam beglich John McCain seine Rechnung aus dem Wahlkampf mit Trump und inszenierte sich als Rebell, als er die dritte republikanische Stimme dagegen abgab, 27 Millionen Bürgern die Krankenversicherung zu nehmen. Der als Steuerreform getarnte riesige Beutezug gelang zwar - wir berichteten -, aber beide Manöver hatten ihren Preis.

Der normale Gesetzgebungsprozess erlaubt Senatoren das Mittel des filibuster, also des prinzipiell unbegrenzten Aufhaltens der prozeduralen Abläufe im Senat. Es ist eine der vielen arkanen Regeln der Institution, die jedes Mal die aktuelle Mehrheit auf die Palme bringt und von der Opposition sehr geschätzt wird. Zwischen 2008 und 2016 nutzten die Republicans dieses Mittel ausgiebig, um Obama zu blockieren (inklusive eines Shutdowns), seither hängt der filibuster wie ein Damoklesschwert über den legislativen Ambitionen der Republicans.

Die GOP nutzte diese Waffe zuletzt, um einen Sitz im Supreme Court von den Democrats zu stehlen. Um selbst nicht den gleichen Regeln unterworfen zu sein, schafften sie den filibuster für Supreme-Court-Nominierungen ab und erzwangen den Extremisten Neill Gorsuch in das Gremium. Für Gesetze allerdings blieb das Instrument in Kraft, auch weil es den republikanischen Senatoren mehr Macht gegenüber der eigenen Parteiführung gibt (wie es vorher demokratischen Senatoren gegen deren Parteiführung half; die Anreizmechanismen sind für beide Seiten dieselben).

Im Januar 2017 standen die Republicans daher vor einem Dilemma. Zwar kontrollierten sie alle drei Arme der US-Regierung, aber sie besaßen im Senat keine den filibuster brechende 60-Stimmen-Mehrheit. Große Reformprogramme bedurften daher zwingend der Zustimmung von mindestens acht demokratischen Senatoren (und seit dem Sieg von Doug Jones - wir berichteten - sogar neun). Die Republicans hatten aber, anders als Obama und die Democrats, kein Interesse an Kompromissen. Und damit sind wir bei ihrem Dilemma.

Denn um auf diese Art jegliche normalen demokratischen Normenprozesse auszuhebeln, mussten die Republicans auf ein Mittel zurückgreifen, das dafür überhaupt nicht ausgelegt ist: den budget reconciliation process. Die Idee hinter diesem (erneut reichlich arkanen) Element des US-Senats ist, dass solche Maßnahmen, die rein haushalterischen Zwecken dienen und keine neuen Schulden versursachen (sprich, den aktuellen vom Parlament demokratisch verabschiedeten Haushalt nicht berühren) immun gegen den filibuster sind. Gedacht ist dieses Instrument für kleinere Feinjustierungen im System.

Die Republicans aber erklärten es zu ihrer Waffe und zerstörten damit eine weitere demokratische Norm, wie sie sich generell nicht an Normen gebunden fühlen. Ihr Plan: Dadurch, dass sie Obama im Jahr 2016 überhaupt nicht die Verabschiedung eines Haushalts erlaubt hatten (für den Fall eines Trump-Siegs für eben das hier beschriebene Manöver, oder den Fall eines Hillary-Siegs als Faustpfand), mussten 2017 zwei Haushalte verabschiedet werden. Andernfalls würde, wie bei gescheiterten Haushaltsabstimmungen üblich, der alte einfach fortgeführt, was eine ganze Reihe von negativen Kaskadeneffekten für die Funktionsfähigkeit der Regierung mit sich bringt (und die Republicans nicht stört, die die Funktionsfähigkeit des Staats ohnehin zerstören wollen).

Der Kniff am budget reconciliation process aber ist, dass nur eine solche Abstimmung pro Haushaltsjahr erlaubt ist - ob sie gelingt oder nicht. Der republikanische Plan war daher, den sie aus 2016 mitgeschleppt hatten (und der das Jahr 2017 abgedeckt hätte) für eine Abschaffung der US-Gesundheitsversicherung zu nutzen und den Prozess für 2018 für ihren Steuer-Raubzug. Erneut, es handelt sich dabei um einen Bruch jeglicher Normen, weil Prozesse genutzt werden, die den eigentlich vorgesehenen Prozess umgehen, die aber grundsätzlich legal sind. Und als solche Umgehung ging diese Strategie natürlich mit einem gewissen Risiko einher.

Das Risiko dabei war, dass die Republicans innerhalb einen Geschäftsjahrs (und ein Kongress-Geschäftsjahr ist relativ kurz, nur etwa die Hälfte aller Wochen sind Sitzungswochen, mit einer riesigen Sommerpause) zwei gigantische Gesetzeswerke durch den Kongress peitschen mussten, die praktisch sämtliche Ebenen der Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung berührten.

Genau dieser umfassende Wirkungskreis ist übrigens der Grund, warum der Prozess für so etwas eigentlich nicht vorgesehen ist: der budget reconciliation process schaltet einen Großteil der Anhörungen, Debatten und sonstigen Kontrollmechanismen des normalen Gesetzgebungsprozesses aus; deswegen ist es ja auch solch ein Normenbruch. Die betroffenen Stellen, die das Gesetz umsetzen sollen, die betroffenen Unternehmen und Wirtschaftszweige, die ihre Geschäftsmodelle auf der bestehenden Rechtslage aufbauen, und die Bürger selbst, die von den Gesetzen berührt werden, können sich vorher kein Bild von dem machen, was kommen soll, und daher auch keinen Input geben. Massive Fehler sind in diesem Prozess völlig unvermeidbar, besonders wenn so komplexe Systeme wie das US-Gesundheitssystem angegangen werden, das direkt und indirekt rund 20% des amerikanischen Wirtschaftslebens berührt (eine riesige auf Pump finanzierte Steuersenkung ist da etwas überschaubarer).

Das alles ließe sich durch eine Partei, die halbwegs nach normalen demokratisch-politischen Prinzipien operiert, aber mitigeren. Die Republicans hatten schließlich acht Jahre Zeit, um eine Alternative zum verhassten Obamacare zu entwickeln, die sie nun hätten implementieren können, aber sie hatten - gar nichts. Nicht auch nur eine einzige Idee. Mit einem intern völlig zerstrittenen caucus, der zwar genau wusste, wogegen er war, aber nicht wofür, musste die Partei in rund drei Monaten ein für alle Seiten akzeptables Paket zusammenschnüren, das aufkommensneutral war - eine fast unmögliche Aufgabe.

An dieser Stelle kommt das Congressional Budget Office (CBO) ins Spiel. Diese kleine, an den Kongress angehängte unabhängige Behörde analysiert jeden neuen Gesetzesvorschlag daraufhin, welche Kosten er verursacht. Da der budget reconciliation process aufkommensneutral sein muss, kommt ihr in diesem Prozess eine Schlüsselrolle zu. Wenig überraschend ist es nicht ganz leicht, aus dem Stand 20% der amerikanischen Wirtschaft so zu reformieren, dass der Staat am Ende gleich viel Ein- und Ausgaben hat (weniger dürfen es wegen der legalen Vorgaben nicht sein, und mehr wegen der ideologischen Zwangsjacke der Republicans gegen Steuererhöhungen auch nicht). Nur, kein Gesetz besagt, dass man eine Bewertung des CBO abwarten muss, bevor man über ein Gesetz abstimmen muss - nur, dass das CBO jedes Gesetz bewerten muss. Wer die Republicans kennt, weiß, was als nächstes geschah.

Die Partei schrieb in einem Hinterzimmer einen Gesetzesentwurf, den vielleicht zwanzig oder dreißig Politiker der eigenen Partei sahen. Dabei umgingen sie auch gleich die paritätisch besetzten Ausschüsse, die dafür eigentlich zuständig wären - ein weiterer Normenbruch und das Ausschalten eines weiteren Kontrollmechanismus' - so dass 95% aller republikanischen Abgeordneten genausoviel über das geplante Gesetz wussten wie die Democrats und die Öffentlichkeit: nichts.

Dummerweise hatten zwei republikanische Senatoren, Susan Collins aus Maine und Lisa Murkowski aus Alaska, ihre Zustimmung zu jedem Plan abgelehnt, der in einem so riesigen Umfang Menschen die Krankenversicherung wegnahm. Die Republicans hatten damit 50:50 Stimmen im Senat (weil die Democrats in für die Partei beeindruckender und immer noch unter-analysierter Einigkeit das Gesetzeswerk ablehnten), ein Patt, den der republikanische Vize-Präsident Mike Pence brechen muss. Es durfte also nichts schiefgehen.

Es ging allerdings etwas schief. John McCain, der bereits vorher skeptisch gegenüber den Plänen gewesen war, nutzte die Gelegenheit, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und inszenierte ein Abstimmungsdrama, in dem er live Trumps erste Großreform zum Scheitern brachte - und sich damit an dem Präsidenten rächte, der ihn im Wahlkampf schwer beleidigt hatte. McCains Ego-Trip und Collins' und Murkowskis Integrität brachten damit das Gesetzeswerk (nach mehreren gescheiterten Anläufen im Repräsentantenhaus, die die Mär von Paul Ryans Kompetenz Lügen straften) zum Scheitern. Die erste Hälfte des Jahres 2017 war vorbei, ohne dass irgendetwas Vorzeigbares verabschiedet wäre. Der erste von zwei Schüssen, die demokratische Kontrolle der Democrats auszuhebeln, war gescheitert

Donnerstag, 4. Januar 2018

Ein Schwarzes Loch wie ein Sieb

Seit fast einem Jahr läuft nun bereits die Untersuchung des special prosecutor Robert Mueller wegen des Verdachts auf russische Einflussnahme auf den US-Wahlkampf. Zahllose spekulative Artikel sind seitdem erschienen, sagen Reaktionen der Republicans und Trumps auf angenommene Ergebnisse voraus. Ich habe hier auf Deliberation Daily bisher praktisch nichts zu dieser Untersuchung geschrieben und habe das auch in Zukunft nicht vor. Der Grund dafür ist recht simpel: es ist für Außenstehende unmöglich, irgendetwas Belastbares zu der Thematik zu finden. Ich lese auch praktisch keine Artikel darüber, denn das gilt nicht nur für mich. Kaum ein Thema ist so voller parteiischer Nebelkerzen wie diese Untersuchung. Sie steht stellvertretend für eine Problematik, vor die die uns in dieser Zeit das Weiße Haus stellt: es ist ein schwarzes Loch, das leakt wie ein Sieb.

Das ist ein Paradoxon. Wie kann eine Operation ein schwarzes Loch sein, aus dem nichts nach außen dringt, und gleichzeitig löchrig wie ein Sieb voll geschwätziger Angestellter? Wenn es Leaks aus dem Weißen Haus Obamas gab, waren diese ziemlich ernst zu nehmen. Sie waren auch selten, deswegen konnte sich die Presse stets voll darauf konzentrieren. Über das innere Arbeiten seiner Regierung war wenig bekannt, weil der Laden im Allgemeinen gut funktionierte, aber wenn das einmal nicht galt, konnte man Einblicke in das Obama-Räderwerk bekommen.

Trumps Regierung dagegen leakt permanent. Hochrangige und niedrigrangige Angestellte stechen Informationen an die Presse durch. Kongressabgeordnete geben praktisch alle Informationen aus der Regierung direkt an Kollegen oder die Presse weiter. Die rekordhohe Fluktuation tut ihr Übriges. Dazu kommen "Insider"-Informationen der stets wachsenden Schar an gefeuerten Beratern und Regierungsprechern, die ihre eigene Post-Trump-Agenda verfolgen.

Diese ungeheure Flut an Informationen muss jeden Beobachter zermürben. Wenn ein Redakteur das Leak von Montag nachrecherchieren und in eine ordentliche Geschichte packen will, sind Freitag bereits drei weitere bekannt geworden, und niemand interessiert sich mehr für das Leak von Montag. Die gleiche Mechanik wurde Hillary Clinton auch im Wahlkampf zum Verhängnis. Nichts bleibt an Trump kleben, weil die pure Menge an Dreck jede Nuance erstickt.

Dazu kommt, dass in einem Weißen Haus, das dermaßen mit korrupten Günstlingen, inkompetenten Sykophanten, Amateuren und ideologischen Fanatikern vollgestopft ist wie das von Trump, praktisch jede Geschichte eine grundsätzliche Glaubwürdigkeit besitzt. Ein Trump-Wahlkampfmanager gibt betrunken in einer Bar zu, mit den Russen kolaboriert zu haben? Warum nicht? Trumps Schwiegersohn hat Hinterkanäle über Reigerungsorganisationen geöffnet, die sämtliche solchen Vorgänge speichern und überpüfen und ging davon aus, das bleibt geheim? Kein Zweifel. Der Chefredakteur eines rechtsextremen Schmierblatts ist bei wichtigen Telefonkonferenzen mit Wladimir Putin dabei? Durchaus möglich. Solchen Blödsinn hätte man nicht einmal von George W. Bush geglaubt, und "Dubbya" hat die Latte von dummen Entscheidungen im Oval Office wahrlich nicht hoch gehängt.

Aus dem Weißen Haus kommen daher unendlich viele Informationen - das ist das Sieb - ohne dass man deswegen mehr Klarheit in die Vorgänge, die hinter seinen Mauern stattfinden, hätte - das ist das Schwarze Loch. Dieses Paradox ist bisher unzureichend verstanden und stellt den Journalismus vor gigantische Probleme.

Denn auf der einen Seite kann es sich niemand leisten, den größten Klickgenerator unserer Zeit zu ignorieren (was auch zu der inflationären Berichterstattung über seine Tweets führt), und auf der anderen Seite sorgt diese nie endende Berichterstattung mit stets neuen Ereignissen dafür, dass alles zu einem monotonen Gleichklang der Albernheiten wird, in dem es unmöglich ist, Wichtiges von Trivialem zu trennen. Denn noch ein Problem stellt sich Journalisten: sie können Trump und seine Bullshit-Welle auch nicht einfach ignorieren, denn immer wieder sind legitim wichtige Dinge darunter (Obamacare-Repeal, Eskalation mit Nordkorea, Steuerkürzungen, nur als Beispiele). Und häufig sieht man erst im Nachhinein, was davon wichtig ist.

Ich habe daher für mich beschlossen, mich so weit wie möglich zu distanzieren. Ich bin auch kein Journalist, deswegen ist es für mich billig, aus diesem Dilemma auszubrechen. Ich folge Trump auf Twitter nicht mehr und versuche so weit wie möglich seine Tweets und Eskapaden zu ignorieren (nicht, dass das immer gelingen würde). Ich habe die Hoffnung, dass dies den Blick für die wichtigen Themen geöffnet hält, aber die Natur des Schwarzen-Loch-Siebs macht es unmöglich, das sagen zu können.

Das Gleiche gilt auch für die Untersuchung Robert Muellers. Mueller ist ein Profi, und aus seinem Team dringt überhaupt nichts nach draußen. Bisher gab es kein einziges Leak. Da ich nicht hauptberuflich hinterher bin, mich voll in die Russland-Verschwörung einzuarbeiten (und das auch nicht vorhabe), ist es mir unmöglich, irgendetwas der Neuigkeiten, die aus den Ermittlungen über Umwege nach draußen dringen, einzuordnen. Ich halte mich daher mit Aussagen dazu so weit irgendmöglich zurück, bis Mueller selbst an die Öffentlichkeit geht.

Das alles nur als Erklärung, falls irgendjemand sich wundert warum zu diesen Themen praktisch nichts im Blog vorkommt.