Samstag, 20. Januar 2018

Der Shutdown der US-Regierung 2018, erklärt (Teil 2)

Im ersten Teil dieses Artikels haben wir die institutionellen Grundbedingungen für den Shutdown untersucht, die in der Strategie der Republicans begründet liegen, demokratische Normen außer Kraft zu setzen und über das Instrument des budget reconciliation process zwei riesige Gesetzesvorhaben umzusetzen: die Abschaffung von Obamacare und eine groß angelegte Steuersenkung für Reiche. Das erste dieser Vorhaben scheiterte im Frühjahr 2017. Die Republicans machten sich danach daran, ihren Steuerraubzug durchzuführen.

Auch bei ihrem zweiten Versuch planten die Republicans, den budget reconciliation process zu nutzen und damit ohne jede Stimme der Democrats auszukommen. Diese einseitige Kompromisslosigkeit erforderte erneut den budget reconciliation process - und ein aufkommensneutrales Gesetz. Das allerdings war ein Problem. Da die Republicans die Steuern einseitig senken wollten, war eine aufkommensneutrale Reform - die das Defizit für maximal zehn Jahre steigern darf - praktisch unmöglich. Da die Republicans dieses Problem unter George W. Bush schon einmal auf diese Art umgangen hatten, so dass die Steuersenkungen für Millionäre nach zehn Jahren automatisch ausliefen (und unter Obama auch nicht verlängert wurden), wollte Paul Ryan - Kreuzritter für möglichst niedrige Steuern und möglichst wenig Staatsaktivität - erreichen, dass die Kürzungen dieses Mal permanent sind.

Dazu jedoch war es eben nötig, dass man die Billionen an geplanten Senkungen für Reiche und Unternehmen des eigenen Stammes irgendwie zumindest nominal gegenfinanziert - was gigantische Haushaltskürzungen erfordert. Wie bereits beim Obamacare-Repeal zeigte sich, dass die Republicans keinen fertigen Plan in der Schublade hatten. So begannen sie im Sommer 2017 mit der heißen Nadel an einem zu stricken. Die internen Widersprüche in der Partei, die beim Obamacare-Debakel zutage getreten waren, zeigten sich auch dieses Mal. Sie waren allerdings bei weitem nicht so stark, denn dieses Mal ging es um die conditia sine qua non der gesamten republikanischen Existenz seit 1994: Steuersenkungen.

Da diese den ideologischen Kernbestand der Partei ausmachten, war kaum zu erwarten, dass die Unternehmung ernsthafte parteiinterne Opposition bekommen würde. Tatsächlich erwies sich der Widerstand einzelner Abgeordneter wie Susan Collins oder Marco Rubio auch schnell als reines Schaulaufen, das nach einem Nachrichtenzyklus ausgestanden war. Die interne Politik der Republicans war daher nicht das größte Hindernis. Das CBO dagegen umso mehr.

Um dieses Problem zu umgehen, verfielen die Republicans auf die brillante Idee, der Behörde den jeweiligen Gesetzesentwurf einfach nicht rechtzeitig zur Verfügung zu stellen, um eine Analyse erstellen zu können. Die republikanischen Abgeordneten würden daher über eine wahre Black Box abstimmen: es war völlig unklar, was in dem Gesetzwerk konkret stehen würde. Die CBO wuchs über sich selbst hinaus und veröffentlichte in Rekordzeit Analysen (die tapferen Analysten schoben wohl mehrere Nachtschichten), was die Republicans durch das Ändern der Entwürfe in letzter Sekunde konterten.

Der finale Entwurf des Gesetzes bedurfte dann eines finalen Tricks, um formal den gesetzlichen Ansprüchen zu genügen: die Steuersenkungen für die Mittelschicht würden in zehn Jahren auslaufen, während die für Millionäre und von den Republicans gepamperten Unternehmen permanent waren. Zudem hoben die Republicans das Kernstück Obamacares auf: das individual mandate, das Krankenversicherung für jeden verpflichtend macht. Rechnerisch entstehen durch die wegfallenden Subventionszahlungen an arme Krankenversicherungsnehmer daher Ausgabenkürzungen, so dass das Gesetz mit Hängen und Würgen akzeptabel war. Auf dem Pfad der Zerstörung blieben nur einige weitere demokratische Normen zurück, was die Republicans aber bekanntlich wenig stört.

Es lohnt sich an dieser Stelle kurz zu verweilen, denn der Steuerraubzug ist auf den ersten Blick ein merkwürdiges Gesetz. Von Beginn der Verhandlungen an war es selbst bei Anhängern der GOP ungeheuer unbeliebt: In der gesamten Gesellschaft erreichte das Gesetz gerade einmal 18% Zustimmung, was es zu einem der unpopulärsten Gesetze aller Zeiten machte. Selbst das ungeliebte Obamacare-Gesetzwerk rutschte nie unter 40% Zustimmung und liegt aktuell stabil bei über 50%. Angesichts der dieses Jahr anstehenden Midterm-Elections ist das Gesetz daher ein massiver Mühlstein um den Hals des republikanischen Abgeordneten.

Die Senatoren und Repräsentaten waren auch erstaunlich offen darüber, weshalb sie das Gesetz dennoch durchpeitschten: ihre Geldgeber verlangten es. Aber das ist nicht der einzige Grund. Wie erwähnt waren Steuersenkungen diesen Ausmaßes die raison d'être der Partei. Es war ihr ultimatives Ziel. Darin sind sie vergleichbar mit den Democrats 2009. Es war auch damals offensichtlich, dass Obamacare für die Midterms eine gewaltige Belastung darstellen würde. Verabschiedet wurde es trotzdem, weil die Democrats seit Jahrzehnten die Krankenversicherung für alle einführen wollten. Es war es ihnen wert. Die Reichen reicher zu machen war es den Republicans wert.

Das ist kein Normenbruch, das ist in einer Demokratie normal. Dass nun 65% der republikanischen Wähler das Gesetz ablehnen, das ihre Repräsentanten verabschieden, ist Pech. Die Partei hat kein Geheimnis aus ihren Plänen gemacht, genausowenig wie die Democrats das 2008 taten. Wahlen haben Konsequenzen. Jeder hatte wissen können, was die Republicans tun würden, und wenn man sie aus Unwissenheit trotzdem wählt oder es in Kauf nimmt, kann man sich darüber später nicht beklagen. Dasselbe Prinzip gilt für Politik in jedem demokratischen Land. Das ist die Verantwortung der Wähler, und wer ihr nicht nachkommt, erfüllt seine eigene Pflicht im demokratischen System nicht. Aber darüber hatte ich bereits geschrieben.

Mit der erfolgreichen Verabschiedung des Steuerraubzugs war der zweite Schuss des budget reconciliation process verbraucht. Die nächsten Gesetzeswerke für den Beginn 2018 würden daher den Senat mit einer Mehrheit von 60 Stimmen passieren müssen, wöllte man den filibuster vermeiden. Nötig ist also ein Kompromiss mit wenigstens einigen Democrats (unter denen es, wie sich am eingangs dargestelten Abstimmungsergebnis zeigt, ja Optionen gibt). Und das Themenfeld eines solchen Kompromisses zeigte sich auch überdeutlich auf. Nach Steuersenkungen und Obamacare-Zerstörung war nur ein großes Feld aus dem Wahlkampf 2016 übrig (sieht man einmal von den rechten identity politics ab, aber die sind ja eher ein permanentes work in progress): die Immigrationspolitik.

Wir erinnern uns: Trump trat mit dem Versprechen an, eine Mauer zu bauen. Nur, Mauern kosten Geld, besonders wenn sie eine Grenze von mehreren tausend Kilometer Länge, teils durch Gebirge hindurch, absichern sollen. Dieses Geld stünde nicht für Steuersenkungen zur Verfügung, und das ist, wie oben dargestellt, für die Partei nie ein ernsthafter Kompromiss gewesen. Jede noch so lächerlich kleine Mauerbauerei muss daher zwangsläufig mit demokratischen Stimmen geschehen, weil der budget reconciliation process für das eigentliche republikanische Herzprojekt reserviert war.

Die Democrats waren dem auch gar nicht so abgeneigt, wie man vielleicht vermuten würde. Von Beginn an boten sie den Republicans an, wenigstens ein Teilstück der Mauer zu finanzieren, wenn im Gegenzug endlich die seit 2013 verschleppte Reform des DACA-Prozesses (Deferred Actions for Childhood Arrivals) angegangen würde.

Worum geht es hierbei? Bekanntlich sind mehrere Millionen undokumentierter Einwanderer in den USA. Für deren Erfassung und Abschiebung ist die US-Behörde ICE (Immigrations and Customs Enforcement) zuständig, die unter Trump mehr Personal und, vor allem, eine Absicherung gegenüber den Konsequenzen von Gesetzesbrüchen und Menschenrechtsverletzungen durch ihre Agenten erhalten hat. Das Maximum an Abschiebungen, das die Behörde pro Jahr vollziehen kann, liegt bei rund 100.000. Das hat zur Konsequenz, dass viele undokumentierte Einwanderer teilweise jahrzehntelang in den USA leben, bevor sie plötzlich in die Abschiebemaschinerie geraten, ein Problem, das uns in Deutschland durchaus bekannt vorkommen dürfte.

Obama ging einen Teilaspekt dieses Problems an, indem er einen Evergreen liberaler Einwanderungspolitik umsetzte. Die Idee ist, junge Menschen, die kein anderes Leben als das der USA kennen und vollständig integriert sind, aber undokumentiert sind, einen legalen Status zu geben und einen Pfad zur Staatsbürgerschaft zu öffnen. Es ging dabei konkret um Kinder von Einwanderern, die in jungem Alter nach Amerika kamen - also nicht selbst an ihrem Status Schuld sind - und eine Reihe von Kriterien erfüllen.

Konkret mussten sie vor 2007 und mit maximal 16 Jahren ins Land gekommen sein, durften keine Vorstrafen besitzen und mussten entweder die Highschool oder eine höhere Schulform besuchen oder im Militär dienen oder gedient haben. In diesem Fall konnten sie unter den Regeln von DACA eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, die zwei Jahre gültig war und nach Ablauf erneuert werden konnte. In der Zwischenzeit erlaubte dies den Applikanten, den so genannten "Dreamern", legal eine Arbeitsstelle aufzunehmen, den Führerschein zu machen und Ähnliches. ICE währenddessen konnte seine Kapazitäten auf Fälle krimineller undokumentierter Einwanderer konzentrieren.

Es war eine typische Obama-Reform: gut durchdacht, begrenzt auf einen klaren Bereich, mit Verbesserungen für die Betroffenen und praktisch keinen Kosten für den Rest. Selbstverständlich opponierten die Republicans mit voller Kraft dagegen, so dass DACA von Obama 2012 als Executive Action verabschiedet wurde. Es handelte sich damit um eine Verwaltungsangelegenheit, kein Gesetz - und konnte vom nächsten Präsidenten einfach wieder aufgehoben werden.

Als die Republicans 2012 die Wahl verloren und Obama seine zweite Amtszeit gewann, schrieben Strategen der GOP den berühmten Obduktionsbericht, indem sie feststellten, dass die Republicans zu einer Partei der Minderheit verärgerter Weißer geworden war und dringend ihre fremdenfeindliche Politik ändern müsse, wenn sie nicht eine permanente Minderheitenposition einnehmen wolle. Konsequenterweise versuchten einige Senatoren, etwa John McCain und Marco Rubio, zusammen mit ihren demokratischen Kollegen ("Gang of Eight") eine überparteiliche Reform des Einwanderungsrechts auf die Beine zu stellen und das Thema ein für allemal zu regeln, unter anderem, indem DACA in geltendes Recht überführt würde.

Bekanntlich kam es anders. Die Extremisten in der Partei, die 2012 wieder einmal gestärkt worden waren, brachten das Projekt zu Fall. Die Partei konzentrierte sich auf die Mobilisierung der weißen Wut-Wähler und der Entrechtung der Wähler der Democrats (durch Entzug ihres Wahlrechts oder gerrymandering). Die arkanen Regelungen der verschiedenen US-Wahlrechtssysteme brachten ihnen denn auch die Präsidentschaft; eine Minderheitenpartei sind sie geblieben. Und die Dreamers hatten immer noch keine Rechtssicherheit.

Nun gäbe es an und für sich auch wenig Grund, etwas an dem bestehenden System zu ändern. ICE ist ohnehin ausgelastet, ihre Entscheidungen sind erratisch und treffen keinesfalls nur die "very bad people", die Trump anzugehen gedachte. Den rechtlichen Status der Dreamer zu verändern würde daher nur bedeuten, sie in eine Sphäre der Unsicherheit zu werfen - eine Abschiebung ist praktisch überhaupt nicht machbar, außer in den völlig willkürlichen Fällen, in denen ein Dreamer aus irgendwelchen Gründen ins weit gespannte Netz von ICE fällt. Ihnen den DACA-Schutz zu nehmen wäre daher ebenso grausam wie sinnlos.

Kein Wunder also dass Trump und die Republicans sich zu der Idee hingezogen fühlen. Letztere sehen in den Dreamern eine Geisel für die Verhandlungen mit den Democrats: "Gebt uns, was wir wollen, oder wir zerstören die Existenz von 800.000 Menschen!" Es ist ein zynisch-brutales Machtspiel, aber nichts, was man von der Partei nicht gewohnt wäre. Trump dagegen tut es vermutlich aus reiner Lust daran, Menschen weh zu tun, und aus Rache. Unfähig, Beziehungen, Geschäfte und Politik irgendwie anders als in persönlichen Begriffen zu sehen, nutzt er den DACA-Prozess, um sich an der demokratischen Senatorin Feingold zu rächen, die in erstmals (auf Betreiben Trumps!) im Fernsehen übertragenenen Verhandlungen durch ihre bloße, informierte und professionelle Existenz offenkundig machte, was für ein abgeschmackter Kretin im Weißen Haus sitzt. Dabei drohte der Präsident seiner eigenen Partei mit einem Veto!

Die Republicans hatten sich in die Falle manvöriert. Die Democrats boten einen sauberen Haushalt an, wenn DACA vor Trumps Zugriff gesichert würde. Ein solcher Deal würde mit allen demokratischen und einigen wenigen republikanischen Stimmen passieren und damit die Haushaltsverhandlungen der Obama-Ära wieder aufleben lassen, in denen nacheinander Boehner und Ryan unfähig waren, trotz einer Mehrheit im Repräsentantenhaus eine Mehrheit für einen (irgendeinen) Haushaltsentwurf ohne demokratische Stimmen auf die Beine zu stellen. Doch wo Obama die entstehenden Kompromisse natürlich unterzeichnete, drohte Trump mit einem Veto, als ob er der Regierung, die er damit von ihren Finanzierungsquellen abschnitt, nicht angehören würde. Es ist nicht völlig abwegig anzunehmen, dass ihm die Zusammenhänge nicht vollständig klar sind.

In diesem Spannungsfeld lehnte der Mehrheitsführer der Republicans im Senat, Mitch McConnell, einen Gesetzesvorschlag, der sich mit DACA auseinandersetzte, ab. Erwartungsgemäß scheiterte dieser Entwurf mit 51:49 Stimmen gestern im Senat. Die Regierung hat damit kein Geld mehr und muss sämtliche "nicht-essenziellen" Mitarbeiter auf unbezahlten Urlaub schicken und sämtliche "nicht-essenziellen" Tätigkeiten einstellen. Jeder, der irgendwie von funktionierendem Regierungshandeln abhängig ist - sei es, weil er einen Antrag stellen muss, kein Gehalt mehr bezieht oder auf eine Entscheidung wartet - wird die Folgen unmittelbar zu spüren bekommen.

Nach dem letzten Shutdown 2013 knickten die Republicans ein, weil ihnen die Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit die Schuld an dem Zustand zusprach und nichts zu gewinnen war. Die ersten Umfragen ergeben eine 50:20-Mehrheit in der Bevölkerung, die der GOP die Schuld an diesem Shutdown gibt. Angesichts der Tatsache, dass die Republicans alle Arme der Regierung kontrollieren und ihr gesamtes brand mit dem Shutdown assoziiert ist, kann dies nicht überraschen.

Die Democrats halten weiter ihre Hand zu einem DACA-Kompromiss ausgestreckt. Das Angebot ist natürlich eine Giftpille für die Republicans. Akzeptieren sie einen Kompromiss, machen sie sich in den Augen ihrer extremistischen Basis - und ihres extremistischen Präsidenten - zu Verrätern, was angesichts der anstehenden primaries für die Midterms keine angenehme Aussicht ist. Auf der anderen Seite ist das Funktionieren der Regierung aber allein ihre Verantwortung. In diese Sackgasse haben sie sich in nunmehr bald zehn Jahren verantwortungslosen Extremismus' selbst manövriert.

Wie ich schon öfter formuliert habe, ist die Partei grundsätzlich regierungsunfähig. Der Shutdown ist dafür nur ein weiterer Beleg; noch nie gab es einen solchen, wenn die gleiche Partei Weißes Haus und Kongress kontrolliert. Hätten die Republicans nicht letztes Jahr die demokratischen Prozesse umgangen, könnten sie nun den budget reconciliation process für das nutzen, für was er eigentlich da ist, und die Handlungsfähigkeit der Regierung bewahren. Da sie sich entschieden, ihn als Waffe zu nutzen, um ein Minderheitsprogramm durch das Parlament zu prügeln, steht ihnen diese Option nicht mehr offen. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Spuk im November endet.

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