Freitag, 9. Februar 2018

Die kleine Koalition

Der Koalitionsvertrag ist durch, und das politische Deutschland atmet auf. #KeineExperimente ist das Losungswort der Stunde. Die neue Große Koalition ist eigentlich eine kleine. Sie ist voll gestopft von sinnvollen Kompromissen, ordentlichen Ergebnissen, guten Plänen und ordentlichem Personal. Gleichzeitig springt sie wesentlich zu kurz. Es ist ein Paradoxon der gegenwärtigen deutschen Politik, dass die Große Koalition das Beste ist, worauf wir hoffen können, das Beste, was sich unter den gegebenen Umständen erreichen lässt, und gleichzeitig eine viel zu kleine, viel zu kurzsichtige Koalition, die die großen Probleme einfach nur vier Jahre lang weiterschiebt wie eine Dose, die man die Straße hinuntertritt.

Sehen wir uns im Folgenden die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen im Einzelnen an.

Als erstes hätten wir die Personaldebatte in der SPD. Schulz tritt als Parteichef ab und wird voraussichtlich durch Andrea Nahles abgelöst. Das ist ein sinnvoller Wechsel. Schulz war mit dem Amt offensichtlich überfordert, und die SPD kann sinnvoll ohnehin nicht noch einmal mit einem männlichen Kanzlerkandidaten ins Rennen gehen. Im Außenministerium wäre Schulz eine hervorragende Besetzung gewesen und hätte das wichtigste Projekt der GroKo - die EU-Reform - maßgeblich mitbestimmen können; seine Niederlage in den internen Machtkämpfen ist zwar folgerichtig, aber bedauerlich. Nahles auf der anderen Seite hat zumindest einiges an Potenzial, besonders im Hinblick auf die traditionellen SPD-Wählerschichten. Sie besitzt zudem die notwendigen Ellenbogen und wenigstens ein Mindestmaß an Vernetzung innerhalb der Partei, was für alle Kanidaten seit 2005 nicht galt.

Zum zweiten hätten wir den Zuschnitt der Ministerien. Die SPD hat hier gut verhandelt. Nicht nur sicherten sie sich das traditionell prestigeträchtige Außenministerium, sondern auch das für alle Politik elementare Finanzministerium. Es hat sich endlich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Kontrolle über dieses Ministerium die zweitwichtigste Funktion nach dem Kanzler ist. Da die SPD zudem Arbeit und Soziales sowie dem Familienministerium kontrolliert, sind alle wichtigen Schalthebel progressiver Politik unter ihrer Kontrolle. Der aus meiner Sicht größte Wermutstropfen hier ist die Besetzung des Finanzministeriums mit Olaf Scholz, der wohl als gleichzeitiges Zugeständnis an Seeheimer und Union verstanden werden darf und eine fleischgewordene Garantie dafür ist, dass das Ziel der schwarzen Null erhalten bleibt, was wahrlich keine gute Idee ist.

Der CDU bleibt dagegen das ständig überschätzte Wirtschaftsministerium (wenngleich mit Zusatzkompetenzen), während die CSU ein Super-Innenministerium bekommt und damit den Bremser bei der Migration und Law-and-Order-Politiker geben kann. Die jeweiligen Stärken der Parteien werden somit ausgenutzt und ihre offenen Flanken nach links und rechts abgedeckt. Der für die SPD (und CSU) vorteilhafte Zuschnitt spiegelt deren starke Verhandlungsposition gegenüber Merkel wieder, die Neuwahlen unbedingt vermeiden will.

Zum dritten haben wir die Grundlage für die Europa-Politik. Die Große Koalition ist sicherlich deutlich europa-freundlicher als es eine Jamaika-Koalition gewesen wäre, und durch die Länder der EU dürfte ein kollektives Aufatmen gehen. Zwar ist mit Scholz und der CDU/CSU nicht damit zu rechnen, dass umfangreiche Reformen etwa im Sinne Macrons stattfinden werden, aber die erzielten Einigungen sind bereits größere Schritte als noch vor den Wahlen für möglich gehalten worden wären. Deutschland ist immer noch wesentlich zu sehr ein Bremser in der weiteren Integration, aber die Große Koalition ist für den Kontinent das bestmögliche Ergebnis unter den Umständen.

Deutlich anders sieht es im vierten Gebiet, der Klima-Politik, aus. Bereits vor den Verhandlungen war klar geworden, dass beide Parteien das Klimaziel 2020 abschreiben und generell keine Priorität aus dem Thema machen würden. Angesichts der großen Herausforderungen, vor denen die ganze Welt hier steht, ist das mehr als bedauerlich. Es war allerdings angesichts des Desinteresses beider Parteien am Thema und der starken Lobbys dagegen traurigerweise auch kaum anders zu erwarten.

Zum fünften hätten wir die Steuer- und Haushaltspolitik. Auch hier bleibt ein großer Wurf erwartungsgemäß aus; stattdessen gibt es eine Reihe kleiner Reformen, die aber überwiegend positiv zu bewerten sind. So ist die Abschaffung des Solis für die unteren Einkommen endlich einmal eine vernünftige Steuersenkung, die tatsächlich nur denen hilft, die sie brauchen. Die Koalition will auf europäischer Ebene für eine Finanztransaktionssteuer kämpfen (was mit dem Brexit marginal erfolversprechender als vorher ist, aber trotzdem ein schnönes Signal). Mehrere Feinjustierungen sollen unter anderem Großkonzerne vernünftiger besteuern und leichtere Umwandlungen zu Bauland erlauben. Der wahrscheinlich beste Posten ist die Abschaffung der unsäglichen Abgeltungssteuer.

Zum sechsten hätten wir den Sozialstaat, wo eine Reihe kleiner Reformen für die Rente verabschiedet werden sollen, die die Lage für Rentner etwas verbessern. Das Problem der Altersarmut und des sinkenden Rentenniveaus bleibt aber auch hier weiterhin bestehen. Die SPD setzte durch, dass die Honorare von Ärzten nicht mehr zwischen Privat- und Kassenpatienten unterscheiden dürfen, was einen Schritt zur Beseitigung der Zwei-Klassen-Medizin bedeutet, wenngleich nur einen kleinen. Krankenversicherungsbeiträge werden wieder paritätisch, auch das ist ein Erfolg der SPD. Leider hat sich die Apothekenlobby mit weiteren Verboten von Versandapotheken durchgesetzt; auch die Union will keinen Wettbewerb in diesem Sektor und lässt die Kosten dafür die Bürger tragen. Der Pflegesektor bleibt weiterhin ein Sanierungsfall; die versprochenen 8000 zusätzlichen Pflegekräfte sind kaum mehr als ein Tropfen auf heißem Stein.

Zum siebten hätten wir das leidliche Thema der Flüchtlingsdebatte. Angesichts dessen, dass niemand mehr einer weiteren Massenaufnahme das Wort redet, war die Durchsetzung der CSU beschlossene Sache. Eine Obergrenze kommt, wenngleich in gedämpfter Form und mit kosmetischen Korrekturen für die SPD, die vor allem das ideologisch verbohrte Ablehnen eines vernünftigen Familiennachzugs kritisierte. Für die Mammutaufgabe der Integration der Flüchtlinge ist wenig zu hören - verdächtig wenig. Stattdessen dreht sich die Diskussion um den gleichen absurden Müllhaufen aus der rechten Ecke, doch unbedingt willkürliche Begrenzungen einzuziehen und den Flüchtlingen wo immer möglich zu schaden, statt konstruktive Lösungen anzugehen. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an die Öffentlich-Rechtlichen, diesen Stinkhaufen mit meinen Gebührengeldern monatelang befeuert zu haben.

Was also bleibt? Insgesamt ist die neue Große Koalition in mehrfacher Hinsicht eine kleine Koalition. Nicht nur hat sie kaum mehr Stimmen beieinander als klassische Zwei-Parteien-Konstellationen, ihre Themen sind auch alle sehr klein und am kleinsten gemeinsamen Nenner ausgerichtet. Angesichts der großen Herausforderungen bleibt sie auch eigentümlich kleinkariert und doktort an den Ecken herum. Das ist das eine.

Nichtdestotrotz muss man der SPD Respekt zollen. Nicht nur hat sie sich der staatspolitischen Verantwortung gestellt, wo andere Heiße-Luft-Produzenten sie scheuten, sie hat auch aus einer schlechten Position vieles herausgeholt. Es findet sich von ihr nichts in diesem Vertrag, was nicht irgendwie eine gute Idee wäre oder von dem man sagen könnte, es sei ein Fehler. Daher ist die permanente Kritik an der SPD, die ständige Nörgelei, auch so nervtötend. Egal was die SPD macht, sie verliert. Das ist keine sonderlich beneidenswerte Position. Viel davon ist selbst verschuldet, gewiss. Aber wenigstens stellt sie sich der Herausforderung und versucht, das Beste draus zu machen. Gut gemeint mag das Gegenteil von gut gemacht sein, besser als nichts gemacht ist es aber allemal. Es bleibt der Partei daher nur zu wünschen, dass sie ihre Erfolge aggressiver vermarktet und sich ein wenig Selbstbewusstsein zulegt. Die Republik braucht die Alte Tante SPD. Auch wenn die das manchmal selbst nicht glauben mag.

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